Landleben
Algorithmus durch die UND-
und ODER-Tore zu dem schlussfolgernden WENN ...
DANN ... SONST zwirbeln, dann kommt sie mit einer
Frage zur Krankenversicherung herein oder mit dem Hin-
weis, dass die Eibe oder die Spindelbüsche daraufwarten,
von ihm geschnitten zu werden, wie nur er sie mit seinem
künstlerischen Auge schneiden kann – die Jungen, die den
Rasen mähen, hacken daran herum wie schlechte Friseu-
re. Sie schneiden nicht genug runter, oder sie schneiden
Löcher und kahle Stellen hinein, die nie wieder zuwach-
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sen. Oder aber sie stört ihn auf der Terrasse, wo er zum
hundertsten Mal versucht, mit Flockenweiß, Kobaltblau,
Ebenholzschwarz und einem Hauch von Römisch Ocker
die über den Meereshorizont heranziehenden Regenwol-
ken wiederzugeben, ihre entnervende Fast-Farblosigkeit
und ihre gleichzeitig komplexe Struktur und ihre chaoti-
schen Dämpfe, was auf Papier und mit Wasserfarben ledig-
lich ein Pinselstrich wäre, aber mit Ölfarben eine mühe-
volle Anhäufung winzigster dreidimensionaler Tupfer ist,
die sicher bis morgen brauchen, um zu trocknen. Von frü-
hester Kindheit an hat Owen sich vor dem Druck und den
Unzulänglichkeiten der Realität geschützt, indem er sich
ganz auf einen Bogen Papier konzentrierte, auf eine Laub-
sägearbeit oder einen Klumpen Lehm, oder, unter Buddy
Rourkes lakonischer Führung, auf eine Kupferverbindung
in einem Zopf farbkodierter Drähte. Julia macht menschli-
chen Krach und stellt ihn der alles andere ausschließenden
Vertiefung ihres Mannes ins Unbelebte entgegen.
Über das Haus sagt er im Scherz zu ihr: «Vielleic t
h ist es
wirklich zu groß, und wir sollten es verkaufen.»
«Quäle mich nicht, du weißt, dass ich es liebe. Und ich
liebe dich. Manchmal», sagt sie zu ihm, «sehe ich dich an,
wenn du e
s nicht merkst, und ich spüre einen Schauer, ei-
nen physischen Schauer.»
«Nach all diesen Jahren?», fragt er pflichtschuldig. Ihrer
beider kindliches Geben und Nehmen, Wort für Wort, er-
gibt eine Musik, die nie ihren Reiz verliert, komponiert für
tausend Wiederholungen.
«Oh, ja», antwortet sie pflichtschuldig. «Sogar mehr
statt weniger. Da ist etwas in deinem B ick,
l
wenn du nicht
weißt, dass jemand dich ansieht.»
«Du bereust es also nicht ... das mit uns?»
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«Oh, nein. Eigentlich nicht. Ich bin froh. Du nicht?»
«O doch», sagt er.
Und doch entdeckt sie, so meint er, an ihm immer mehr,
was sie in Rage versetzt. «Du sollst nicht mitten in der Kü-
che essen», schreit sie plötzlich, als hätte sie einen elektri-
schen Schlag bekommen. «Iss über dem Spülbecken, wenn
du die ganze Zeit essen musst. Ich habe noch nie jemand
gesehen, der so beharrlich isst. Kein Wunder, dass deine
Zähne immer so eklig sind.»
Als Kind in der Mifflin Avenue hatte er Angst gehabt,
das Essen würde ausgehen, deshalb ging er oft an einer
Selleriestange knabbernd oder an einer erdigen Mohrrü-
be, die frisch im Garten geerntet worden war, durchs Haus.
Phyllis war es anscheinend nie aufgefallen, dass er sich aus
nervöser Gewohnheit oft Brezeln, Nüsse oder Kekse aus
dem Brotfach nahm, um eine plötzlich gespührte Lücke in
sich zu füllen. Er schlägt zurück: «Ich finde es grässlich,
über e
d m S ü
p lbecken z
u essen, ich komme mir v r
o wie ein
Hund über seinem Napf.»
«Auf dem Fußboden liegen überall Krümel, und die
Putzfrauen waren gerade erst hier.» Die geschäftigen Bra-
silianerinnen mit ihren ausladenden Hinterteilen: Wenn
sie untereinander sprachen, war ihre Sprache voller be-
schwichtigender Laute, wie das Russische. Owen vermu-
tete, dass große Länder unglücklicher waren als kleine: die
größere Verantwortung.
«Und schlürf nicht so», sagte Julia, wenn er Suppe aß.
Sie brachte nur selten Suppe auf den Tisch, als wollte sie
ihm eine Lektion erteilen. «Du hast eine so erbärmliche
Kinderstube gehabt. Was hat sich deine Mutter bloß ge-
dacht?»
«Sie hat improvisiert. Sie war vorher nie Mutter gewe-
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sen. S e
i hatte das Gesamtbil
d vor Augen, nicht die Tisch-
manieren.»
«Mit guten Manieren fängt alles an», sagt Julia, und er
nimmt diese Weisheit an – von ihr, die, wie es aussieht,
die letzte in der Reihe seiner Lehrmeistermnen ist. «Mein
Vater pflegte zu sagen, Manieren sind eine Form der Höf-
lichkeit, und Höflichkeit ist eine Form von Güte.» Dann
fährt sie fort: «Das sage ich auch zu meinen Enkelkindern.
Und sieh dir
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