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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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lassen.«
    »Ich dachte damals, du willst Funktionär werden.«
    »Ich?« Er lachte wieder.
    »Aber ja. Das waren alles Funktionäre, Hundertfünfzigprozentige, die die Bauern in die Genossenschaft pressten.«
    »Kann sein. Weiß nicht.«
    »Und wie kam es dazu, dass du dabei warst?«
    »Nur so. Hatte meinen Spaß dabei.«
    »Wieso du? Und jetzt schmuggeln wir zusammen Leute über die Grenze.«
    »So ist das Leben, Koller.«
    »Warum hast du mitgemacht?«
    »Rache ist süß, Koller.«
    »Wer hatte dir was getan?«
    »Ich habe es ihnen nicht vergessen. Ich weiß noch heute, wie wir hier ankamen. Wie sie uns schon ansahen. Wenn ich in einen Laden ging, schauten sie auf jede meiner Bewegungen, alle, nicht nur die Ladenbesitzerin. Und wenn ich bezahlte, sah ich ihnen an, dass sie hinter meinem Rücken reden werden. Woher hat der Junge das Geld, sicher gestohlen. Weißt du, Koller, ich hatte mir geschworen, mich zu rächen. Für die waren wir die ganzen Jahre die Hungerleider, und so haben sie uns behandelt. Und plötzlich waren sie es. Die sollten es mal erleben, alles zu verlieren. Da brauchte man mich nicht lange bitten, ich war sofort dabei. Wie Dreck hatten sie uns behandelt.«
    »Griesel auch?«
    »Er war Gift und Galle. Wir bekamen von Griesel das Zimmer mit der Kammer, in dem vorher die drei Fremdarbeiter hausen mussten. Und genauso wurden wir behandelt.«
    »Und darum hast du mitgemacht?«
    »Ich wäre gern zwei, drei Lehrern auf die Pelle gerückt.Dem Voigt vor allem. Oder dem Barthel, dem Polizisten. Wenn ich den heute auf der Straße sehe, alt wie er ist, den möchte ich mir einmal vornehmen. – War ein schönes Gefühl damals. Plötzlich hatten sie Angst vor mir. Alle.«
    »Daran hatte ich nie gedacht. Es ist wahr, freundlich aufgenommen wurden die Umsiedler nicht gerade.«
    »Die Vertriebenen sollte man gleich weitertreiben, in die Mulde. Das hat Griesel meinem Vater ins Gesicht gesagt. Noch ein Bier, Koller?«
    »Nein. Ich will nachher zurückfahren. Dich darf man nicht zum Feind haben, was?«
    »Sagen wir, ich vergesse nichts. Nie.«
    »Und jetzt? Machst du das auch aus Rache?«
    Er sah mich durchdringend an und wirkte überrascht. Dann blies er mir den Rauch direkt ins Gesicht und sagte: »Es macht mir Spaß, Koller.«
    Ich rief den Kellner, bezahlte und stand auf.
    »Gute Fahrt morgen, Koller.«
    »Wird schon schief gehen.«
    Im August machten sie die Grenze dicht, und in Berlin wurde eine Mauer gebaut. Ich fuhr, als ich am Sonntagmorgen im Radio davon erfuhr, sofort zu Bernhard. Er wusste auch nicht mehr und sagte nur, wir sollten abwarten und vorerst nicht telefonieren. Vielleicht wäre es eine vorübergehende Maßnahme, und wenn nicht, dann könnten wir unsere Fahrten vergessen. Er würde dann wieder als Tischler arbeiten, denn auf dem Rummel verdiene man nur, wenn einem das Geschäft gehöre. Auf der Heimfahrt überlegte ich, ob ich die Bienen aufgeben und wieder als Mechaniker arbeiten oder mir so viele Völker dazukaufen sollte, dass ich davon leben könnte. Obwohl ich meine Bienenzucht ausschließlich zur Tarnung betrieb, konnte ich inzwischen mit den Tierchen umgehen und hatte schon einigen Honig geschleudert.
    Vierzehn Tage später kam Bernhard zu mir gefahren, ummir zu sagen, dass unser Unternehmen weitergeführt werde. Er kam aus Berlin zurück, wohin er seinen ersten Kunden nach dem Mauerbau gebracht hatte, und hatte einen Auftrag für mich, ich sollte in zehn Tagen eine Familie von Riesa nach Berlin bringen. Ein paar der Verabredungen, sagte Bernhard, hätten sich geändert. Die Kunden sollten nun nicht mehr am Tag, sondern um Mitternacht in Berlin übergeben werden, und die Übergabe erfolgte nun in der Malmöer Straße, mitten in der Stadt. Nun durften die Leute alle Papiere mitnehmen, die sie wollten, dafür war pro Person nur noch ein einziger Rucksack gestattet. Die Preise seien enorm gestiegen, denn nun sei die Sache wirklich gefährlich geworden, jedenfalls für diejenigen, die die Kunden direkt nach Westberlin zu schleusen hatten. Auf welche Art es erfolgt, wollte mir Bernhard nicht sagen, so viel ich verstand, würden die Leute durch die Kanalisation geführt. Die Schleusungen erfolgten jeweils mit größeren Gruppen, so dass an diesen Tagen alle verfügbaren Autos unterwegs wären, um die Kunden zusammenzubringen. Man werde zweimal im Monat zu tun haben, das jedenfalls sei geplant. Pro Fahrt gäbe es fest vereinbarte Beträge, das Fünffache der bisher üblichen Summe. Für uns

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