Landnahme
abzuholen. Als ich hinausging, war er bereits wieder in seine Akten vertieft. Ich war beeindruckt, wie selbstverständlich und ohne die geringste Geste von Dankbarkeit er mein Geld an sich nahm und einsteckte, er musste viele Erfahrungen damit haben.
Wenn ich das Haus verließ, war ich immer besorgt, einen Anruf von Bernhard zu verpassen. Wir hatten uns zwar auf zwei Telefonzeiten geeinigt, morgens um acht Uhr und abends zwischen sieben und acht, aber da ich tagelang nichts von ihm hörte, fürchtete ich, er hätte mich vergeblich zu erreichen versucht und einen anderen Fahrer beauftragt. Es dauerte eine Zeit, bis ich begriff, dass ich für Bernhard der zweite Mann war, der die Aufträge erhielt, die er nicht ausführen konnte, weil er keine Zeit oder andere Passagiere hatte, oder es ging um Fuhren, die ihm zu heiß waren. Ich bekam die Kunden, die Bernhard nicht übernehmen wollte. Es war zwecklos, sich darüber zu beschweren. Und bei wem auch?
Bei der ersten Fuhre, die ich allein unternahm, brachte ich ein altes Ehepaar von Bad Muskau nach Berlin. Am Tag zuvor musste ich zu Bernhard nach Guldenberg fahren, um mir die Namen und die Adresse abzuholen. Er gab mir einehandschriftliche Beschreibung, wie ich zu dem Haus der Leute fahren müsste. Das Blatt Papier war sehr säuberlich geschrieben in Sütterlin-Schrift, die ich schwer entziffern konnte. Am nächsten Tag stand ich zur vereinbarten Zeit vor dem Haus in Bad Muskau, es war ein dreistöckiges Mehrfamilienhaus, und klingelte bei dem Ehepaar. Eine alte Dame machte mir sofort die Tür auf, sie musste hinter der Tür auf mich gewartet haben. Die beiden Alten hatten viel zu viel Gepäck, und ich sagte es ihnen. Sie jammerten, dann packten sie nochmal neu, und eine Stunde später konnten wir starten. Ich wusste, sie hatten noch immer mehr Gepäck, als ich während einer Fahrtpause in das Fach stecken konnte. Ich sagte mir, ein einzelner Koffer im Gepäckraum würde uns an der Kontrollstelle keine Schwierigkeiten machen, zumal in diesem Koffer Kleidungsstücke waren, wie mir die Alten versicherten.
Während der Fahrt versuchte ich, Gespräche mit dem Ehepaar zu vermeiden, weil Bernhard es mir geraten hatte, aber sie waren so geschwätzig, dass es mir nicht gelang. Ich fragte sie, warum sie in den Westen gehen wollen, und die Frau sagte mir, dass ihr Mann immer im Staatsdienst gewesen sei, über fünfundvierzig Jahre, und dafür im Westen eine richtige Pension bekommen würde, während er im Osten eine sehr dürftige Rente beziehe, eben weil er dem deutschen Staat immer treu gedient habe. Sie bekämen die Mindestrente, die kaum zum Leben reiche. Als ich, nachdem wir den Kontrollposten passiert hatten, um die vereinbarte Summe bat, war es mir peinlich, den beiden Alten so viel Geld abzunehmen. Andererseits hatten sie es ja so gewollt, und ich hatte in den letzten Wochen mehr als genug Ausgaben und mein Konto war leer.
Ich war pünktlich am Treffpunkt in Berlin und musste zehn Minuten warten, ehe ich das Ehepaar übergeben konnte. Derselbe Mann, der bei der Fahrt mit Bernhard gekommen war, tauchte plötzlich am Wagen auf. Er sagtenichts zu mir und wartete schweigend, bis ich dem Ehepaar das Gepäck gegeben hatte. Als ich abfuhr, sah ich im Rückspiegel die drei über die Straße gehen, die beiden Alten schleppten das gesamte Gepäck, während der junge Mann vor ihnen herlief, ohne ihnen eine Tasche abzunehmen. Ich hatte bemerkt, dass er grinste, als sich das Ehepaar mit Handschlag von mir verabschiedete und sich bedankte. Der Junge macht es richtig, sagte ich mir, du bist viel zu freundlich zu diesen Kunden. Ich nahm mir vor, mich bei den nächsten Fahrten auf keinerlei Gespräche einzulassen.
Ich bekam monatlich vier oder fünf, selten waren es mehr, und ich verdiente ganz gut, immerhin doppelt so viel, als wenn ich als Automechaniker gearbeitet hätte. Wenn ich einen der Passagiere im Versteck zwischen den Bodenblechen nach Berlin fuhr, weil er gesucht wurde oder lediglich einen Bezirksausweis besaß, der ihm ein Verlassen seiner Heimatregion nicht erlaubte, dann gab es jedes Mal eine ganze Stange mehr Geld. Das Glück hatte ich selten, einmal im Monat bestenfalls.
Der Aufbau meiner Bienenzucht gestaltete sich mühsam, zumal mir der Ansporn fehlte, seit ich die Gewerbegenehmigung erhalten hatte. Die notwendigen Gerätschaften und einen gummibereiften Bienenwagen, der in einer verwahrlosten Strohscheune stand, hatte ich mir zusammengekauft, aber die Bienenvölker
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