Landnahme
Kaum hattenwir angehalten, erschien plötzlich ein Mann, er musste in einem Hauseingang gestanden haben, schaute in den Wagen, ging zu Bernhard hinüber und öffnete die Tür. Wir stiegen aus.
»Das ist unser Neuer«, sagte Bernhard und zeigte auf mich. Der Mann sah mich aufmerksam an, ohne eine Miene zu verziehen oder zu grüßen. Bernhard ließ das Ehepaar aussteigen, dann kletterte er in den Wagenfond, öffnete die Fußbodenklappe und holte das Gepäck heraus. Der Lehrer schnallte sich einen der Rucksäcke auf den Rücken, nahm dann den zweiten und den Koffer auf, das schlafende Kind wurde von seiner Mutter getragen. Bernhard stieß mich an, wir stiegen in den Wagen ein, wendeten und fuhren zurück.
»Und wie geht es weiter?«, erkundigte ich mich.
»Wie verabredet, ich rufe dich an. Und du rufst nicht bei mir an, nie, hast du verstanden?«
»Ich meine, wie geht es mit den beiden weiter?«
»Keine Ahnung. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Warum fahren diese Leute nicht allein nach Berlin?«
»Ich habe sie nicht gefragt.«
»Sie brauchen sich nur eine Fahrkarte zu lösen und schon sind sie drüben. Warum bezahlen sie uns einen Haufen Geld für etwas, was sie selbst machen könnten?«
»Ich weiß es nicht, Koller. Vielleicht sind sie dumm, ungeschickt, ängstlich. Oder sie brauchen für alles eine Garantie, und wir garantieren es ihnen. Weißt du, Koller, es gibt Leute, die sich bei jeder Schlange hinten anstellen, die können gar nicht anders, die stellen sich stets an und warten. Und wir zeigen ihnen einen Weg, wie man nach vorn kommt, dafür bezahlen sie uns. Das ist für alle schön, nicht wahr.«
»Mit der Dummheit lassen sich gute Geschäfte machen. Ich hoffe nur, sie sind nicht so dumm, später irgendjemandem davon zu erzählen. Denn das könnte für uns teuer werden.«
»Ja, das ist das eigentliche Risiko. Das und ihr Gepäck. Wir schärfen ihnen genau ein, was sie nicht einpacken dürfen, und du kannst darauf wetten, wenn einer am Kontrollpunkt sich das Gepäck ansieht, sieht er mit einem Blick, dass die Leute nicht in den Urlaub wollen. Wir reden und reden, aber nein, das Tafelsilber muss auch mit.«
Wir fuhren nach Altenburg, wo Bernhard sein Auto stehen gelassen hatte. Als wir uns verabschiedeten, reichte er mir hundert Mark hin und legte, als ich schweigend auf den Schein schaute, fünfzig Mark dazu.
»Ich melde mich«, sagte Bernhard, als er aus meinem Wagen stieg, »keine Sorge. Und immer ruhig bleiben.«
In den nächsten Tagen las ich ein Buch über Bienenzucht und stellte einen Antrag auf einen Gewerbeschein. Das Buch war offenbar für Kleingärtner gedacht, immer wieder wurde man darauf verwiesen, was man alles selber machen und was man allein zusammenbauen könne, und über die Bienen schrieb man, als seien es alte Tanten oder unmündige Kinder, die man liebevoll zu umsorgen habe und denen man ihre Launen und Streiche nachsehen müsse. Doch ich bekam die gewünschten Informationen und konnte mir eine Liste aller Sachen zusammenstellen, die ich mir zu besorgen hatte, um eine Bienenzucht aufzubauen. Ein paar Ausdrücke strich ich an und lernte sie auswendig, um mit Imkern reden zu können. Ich gab Inserate in drei Zeitungen auf, ich hoffte einen alten Imker aufzutreiben, der gerade im Begriff war, seine Bienen aufzugeben und bei dem ich alles billig und auf einmal kaufen könnte.
Auf dem Amt musste ich vor allem warten. Man hatte keine Zeit und keine Lust, sich mit mir und meinem Anliegen abzugeben. Ich ging dreimal hin, bevor ich den zuständigen Beamten sprechen konnte, einen dicken Mann mit hochrotem Gesicht. Er tat so, als sei er sehr beschäftigt. Inzwischen hatte ich genügend Erfahrung mit solchen Leuten und hatte auf den ersten Blick gesehen, dass bei ihm mitGeld etwas zu erreichen war. Ich saß lange vor seinem Schreibtisch, weil das Gespräch immer wieder von Telefonaten unterbrochen wurde und von seiner Suche nach irgendeinem Papier. Als sein Mitarbeiter das Zimmer verließ, legte ich einen Umschlag mit Geld wortlos auf den Schreibtisch. Der Dicke telefonierte gerade und zog, während er weiter in den Hörer sprach, den Umschlag zu sich, öffnete ihn, zählte das Geld und steckte es sich ins Jackett. Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, sprach er mit mir weiter über meinen Gewerbeschein. Das Geld erwähnte er mit keinem Wort, er bedankte sich auch nicht. Schließlich nannte er mir einen Tag, an dem ich wieder zu ihm kommen könnte, um mir die behördliche Genehmigung
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