Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
Vom Netzwerk:
dass sie meine Schuhe immer im Blickfeld hatte.
    »Darf ich es sagen?« fragte Kathrin, und bevor Traudel antworten konnte, fuhr sie fort: »Sie will sich verloben.«
    »Wer? Du, Traudel?«
    »Stell dir vor. Und so richtig mit Ringen und Familienfeier. Wenn ich damit zu Hause ankäme, meine Alten würden ausrasten, glaube ich. Schon wegen dem vielen Geld. Die jammern heute schon, wenn sie darüber reden, dass sie meine Hochzeit bezahlen müssen.«
    »Wirklich, Traudel? Ist das wahr?«
    Traudel nickte stolz.
    »Willst du Paul wirklich heiraten?«
    »Weiß ich nicht. Verloben ist schließlich nicht heiraten.«
    »Festmachen und weitersuchen, nicht wahr?«
    »So ähnlich. Ich bin schließlich schon zwei Jahre mit ihm zusammen.«
    »Das bin ich mit Bernhard auch. Sogar schon länger. An Verloben würde ich nicht einmal denken.«
    »Würde ich auch nicht an deiner Stelle.«
    »Was meinst du denn damit? Was willst du sagen? Er gefällt dir nicht, wie? Muss er ja nicht, Hauptsache, mir gefällt er.«
    »Ach, gifte mich nicht an. Ich meine ja nur, dein Bernhard ist irgendwie komisch.«
    »Komisch? Pass mal auf, dass du nicht gleich komisch aus der Wäsche schauen wirst.«
    »Ich meine, jahrelang kriegt er den Mund nicht auf, ich wüsste nicht, wann ich jemals zwei zusammenhängende Sätze von ihm gehört hätte ...«
    »Er redet nicht viel, na und? Besser, als wenn er den ganzen Tag von irgendwelchen Motorrädern herumfaselt, die er sich angeblich kaufen will.«
    »Das wirst du erleben. Paul kauft uns die neue MZ . Und vielleicht sogar eine mit Beiwagen.«
    »Ja, sicher. Und ein Haus dazu mit einem Garten. Dann kannst du dir den Brautkranz über die Tür nageln.«
    »Hört auf. Seid ihr hergekommen, um zu streiten?«
    »Jedenfalls belästigt Paul nicht fremde Leute.«
    »Geht das auf mich? Oder auf Bernhard? Wen belästigen wir denn?«
    »Ach, nee. Hältst du das etwa für normal? So etwas hat es bei uns in tausend Jahren nicht gegeben, sagt mein Vater.«
    »Was ist los? Spucks aus, bevor du dran erstickst.«
    »Wie würdest du denn das nennen? Vor fremder Leute Häuser zu ziehen und ihnen die Pistole auf die Brust setzen.«
    »Hab keine Ahnung, von was du hier redest. Verstehst du ein Wort davon, Kathrin?«
    »Sie meint Bernhard. Er ist bei der Truppe dabei, die zu den Bauern geht, um sie in die Genossenschaft zu pressen.«
    »Bernhard? Was redest du?«
    »Sicher. Dein Bernhard. Er ist immer dabei. Hast jetzt einen ganz fortschrittlichen Freund. Wenn du willst, dann schau dir selber den Auflauf an. Heute toben sie durch Guldenberg. Den ganzen Tag soll es gehen, bis alle unterschrieben haben.«
    »Bernhard auch?«
    »Er ist einer der ganz Eifrigen. Dein Bernhard ist mit bei denen, die den Griesel bearbeiten.«
    »Griesel? Ausgerechnet Griesel?«
    »Ja, stell dir das vor. Ausgerechnet Griesel. Und der hat ihn damals aufgenommen, ihn und seine bucklige Verwandtschaft. Er hat den einarmigen Haber aufgenommen, der ihm sicher keine Hilfe war. Hat den Umsiedler durchgefüttert, und jetzt rückt ihm Bernhard zum Dank auf den Pelz.«
    »Wollen wir hingehen? Willst du es selbst sehen, Marion?«
    »Wer ist denn noch dabei? Sylvie?«
    »Sicher. Die war schon immer so. Die ganze Familie von der ist rot. Dunkelrot.«
    »Sylvie also. Mein lieber Schwan, jetzt geht mir ein Licht auf. Ein ganzes Kirchenlicht.«
    »Was ist denn mit Sylvie?«
    »Die hat sich immer an Bernhard rangemacht. Im letzten Sommer habe ich ihr deswegen schon eine vor den Latz geknallt, dann hat sie Ruhe gegeben. Wenn das stimmt, wenn Bernhard wirklich mit ihr rumzieht, dann ist Feierabendbei mir. Dann lasse ich unwiderruflich die Jalousie runter.«
    »Siehs dir an. Komm, gehen wir.«
    Wir liefen an der Gärtnerei entlang und die Gartenstraße hoch, um in Höhe des alten Friedhofs auf die Gustav-Adolf-Straße zu gelangen, in der Griesels Gehöft lag. Ich war den beiden immer einen Schritt voraus, sie konnten kaum mit mir mithalten, ich wollte nicht neben ihnen laufen. Ich wollte mit ihnen nicht reden, ich hatte meine Gedanken zu ordnen und meinen Kopf, um zu begreifen, was mir Traudel und Kathrin erzählt hatten.
    Dass Sylvie sich mit Bernhard verstand, das hatte ich mitbekommen. Aber wieso beteiligte er sich an diesem politischen Zeug? Das hatte ihn bisher ebenso wenig interessiert wie mich, und von seinen Eltern wusste ich, dass sie nichts damit am Hut hatten, die trauerten der alten Zeit hinterher, als es ihnen noch gut ging. Sylvie musste ihn irgendwie

Weitere Kostenlose Bücher