Landnahme
Abgabesoll erfüllt hatten, sollten von einer Mitgliedschaft überzeugt werden. In wenigen Jahren, hieß es nun, sollten alle Bauern des Landes in landwirtschaftlichen Kommunen arbeiten, und die private Bauernwirtschaft würde dann der Vergangenheit angehören.
Die meisten Bauernhöfe von Guldenberg lagen um die Stadt herum, in Vorwerken oder völlig vereinzelt. In der Stadt gab es fünf Gehöfte, diese Höfe waren seit Generationen bewirtschaftet, und ihre Eigentümer besaßen das meiste Land und waren wohlhabend, denn sie hatten die nötige Erfahrung, während die Neubauern erst seit der Bodenreform Landbau und Viehzucht betrieben und früher Arbeiter waren, die zuvor nie eine Kuh gesehen hatten und mit Pferden nicht umgehen konnten. Oder es waren Vertriebene, die einmal im Osten Land besessen und nach dem Krieg alles verloren hatten und völlig mittellos dastanden. Ihnen hatte man ein Stück Land und eine Wohnung oder sogar ein Haus gegeben, das war alles, was sie besaßen, zumLeben zu wenig und zum Sterben zu viel. Sie hatten Hühner und eine Ziege, und ein paar wenige hatten zwei, drei Schafe und eine Kuh, eine richtige Viehkoppel jedoch und Pferdegespanne wie die alteingesessenen Bauern hatte keiner von ihnen. Allein Herrn Griesel und Herrn Ebert gehörten mehr Kühe und Pferde als der gesamten ›Morgenrot‹ zusammen. Und nun sollten die erfolgreichen Bauern, die Großbauern, wie man sie nannte, in die Genossenschaft gepresst werden. Herr Griesel hatte berichtet, dass der neu ernannte Kreissekretär schon dreimal auf seinem Hof war und jedes Mal mit Leuten, die er nicht kannte. Sie hatten auf ihn eingeredet und ihm gedroht. Vor zwei Tagen habe man ihm eine Buchprüfung angekündigt, bei der man unweigerlich so viel finden werde, dass man ihn wegen eines Verbrechens an der Volkswirtschaft als Schädling vor Gericht bringen und ihn enteignen werde. Sie hatten ihm genau drei Wochen Zeit gegeben, um den Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen, danach könne man ihm für nichts garantieren, denn dann sei er ein Fall für den Staatsanwalt.
Herr Griesel habe nicht gewagt, nein zu sagen oder sie vom Hof zu weisen. Er habe den Kopf geschüttelt und immer wieder beteuert, er sei ein guter und ehrlicher Bauer, der sich nie etwas zu Schulden habe kommen lassen und der alle Abgaben pünktlich und vollständig geliefert habe. Seine Frau sei inzwischen durchgedreht, sie jammere immerzu, weil sie ihn schon im Gefängnis sehe. Nun überlege er, in die Genossenschaft einzutreten oder in den Westen abzuhauen. Da er seinen Hof nicht mitnehmen und ihn nicht im Stich lassen könne, werde er unterschreiben.
»Und was hast du zu ihm gesagt?«, erkundigte sich Mutter.
»Nichts. Nichts habe ich dazu gesagt. Was sollte ich sagen?«
»Gut so. Es ist besser so, Richard. Wer weiß schon, was daraus wird. Sag gar nichts.«
»Ich bin man froh, kein Bauer zu sein.«
»Und warum kam er? Was wollte er von dir?«
»Was weiß ich.«
»Hat er nichts gesagt? Sollst du ihm helfen?«
»Nein. Was soll ich helfen? Vielleicht später wieder, bei der Ernte.«
»Oder auch nicht«, sagte Mutter.
»Was hast du? Warum soll ich ihm nicht mehr bei der Ernte helfen? Mache ich schon seit Jahren. Und seine Kartoffeln schmecken dir besser als alle gekauften.«
»Halt dich besser raus. Wir wollen schließlich nicht zwischen die Räder kommen.«
»Du siehst mal wieder Gespenster, Trude.«
»Oder nicht.«
»Hast du etwas läuten hören?«
»Ach was. Du weißt selbst, sie machen eine Kampagne. Und wenn du da irgendetwas dagegen sagst, nun, es sind schon Leute für viel weniger verschwunden. Und das gilt genauso für dich, Mädchen. In deinem Salon hältst du dich raus. Wenn eine Kundin damit anfängt, sagst du, davon verstehe ich nichts, und hältst deinen Schnabel. Hast du verstanden, Marion?«
»Das musst du mir nicht sagen. Ich bin nicht blöd. Und Frau Heidepriem achtet schon von selbst drauf. Sie will nichts Politisches in ihrem Salon.«
»Gut so. Und richte dich danach.«
»Was ist denn in dich gefahren, Trude?«
»Es geht uns nicht an, das meine ich.«
In der Zeitung stand nun wieder jeden Tag etwas über die Genossenschaft, beim Abendbrot las Vater uns die Stellen vor. Der Kreissekretär für Landwirtschaft war mehrfach im Gespräch mit Genossenschaftsbauern abgebildet, er hatte der Zeitung gesagt, dass Eilenburg der erste vollgenossenschaftliche Kreis des Landes werden könne und ein Beispiel für die ganze Republik. Es seien nur noch
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