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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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ab. Ich verdiene noch jede Menge Geld. Und in einem Jahr habe ich einen eigenen Wagen. Ich bin schon dabei, mir ein altes Auto wieder aufzubauen, eine riesige Limousine, die mir der Meister billig überlassen hat. Ich richte sie mir wieder her. Dann habe ich einen Wagen, der auch aussieht wie ein richtiges Auto.«
    »Was? Vom Schrottplatz?«
    »Davon siehst du bald nichts mehr. Und wenn der erst fertig ist, sieht der aus wie geleckt. Unter der Haube ist dann alles picobello, alles vom Feinsten. Mit dem werde ich jeden Wagen abhängen, das kannst du mir glauben.«
    »Glauben ist das eine, sehen das andere. Also, was ist, spendierst du mir ein Eis?«
    »Na gut. Gehen wir zum Markt?«
    »Lieber zu Blumenreich. Bei denen schmeckt es besser.«
    Es ging dann alles sehr schnell mit Gitti und mir. Sie verstand sich mit ihrer Mutter und dem Stiefvater nicht und wollte so rasch wie möglich zu Hause ausziehen, aber da sie Lehrling war, sie wollte Schneiderin werden, war das finanziell nicht möglich, denn ihre Mutter wollte nichts davon wissen und sie nicht unterstützen. Als ich meine Wohnungbekam und sie Gitti zeigte, war sie ganz begeistert und entwickelte sofort Ideen, wie sie einzurichten sei. Sie half mir dabei, alte Möbel zu beschaffen, die ich umsonst oder sehr billig von ihren Bekannten und Freunden bekam. Ich hatte ihr angeboten, bei mir zu wohnen, was sie lachend ablehnte, jedoch schon zehn Tage später kam sie von sich aus darauf zurück und sagte, sie würde bei mir einziehen. Am nächsten Tag half ich ihr in der Mittagspause beim Transport ihrer Kleider und der wenigen Möbelstücke, die ihr gehörten. Gitti wollte ausziehen, während ihre Mutter und der Stiefvater auf der Arbeit waren. Sie wollte sie vor vollendete Tatsachen stellen, um sich Diskussionen, einen Tränenausbruch der Mutter und einen Wutanfall des Stiefvaters zu ersparen, das gelang ihr nicht ganz. Eine Woche später tauchten ihre beiden Alten in unserer Wohnung auf und zeterten mit ihr herum, und mich behandelten sie, als wäre ich Luft oder ein Stück Dreck. Wenn ich mich in den Streit einmischte und etwas sagte, verstummten sie einen Augenblick, um dann, ohne mich nur eines Blickes zu würdigen, wieder mit Gitti herumzuschreien.
    Gitti blieb ihnen kein Wort schuldig. Ich legte die Ohren an, als ich hörte, wie sie mit den beiden umsprang. Sie hatte Haare auf den Zähnen, mein Gott. Als der Alte sie zu schlagen versuchte, ging ich dazwischen und drückte seine Arme herunter, was mir leicht fiel, denn er war nicht sehr kräftig. Er tat dann so, als hätte ich ihm einen Arm gebrochen, und so etwas Ähnliches erzählte er später in der Stadt herum, aber ich wollte ihn lediglich daran hindern, Gitti zu schlagen. Schließlich war es ihre Mutter, die heulend davonzog, und der Stiefvater brüllte etwas von Polizei und Jugendwerkhof, ich wusste, sie konnten uns nichts anhaben. Ich hatte die Wohnung ordnungsgemäß zugewiesen bekommen, und wir waren beide für den neuen Wohnsitz angemeldet.
    Gitti hatte rote Flecken im Gesicht, nachdem ihre Eltern abgezogen waren, doch sie heulte nicht.
    »Das wars dann wohl«, sagte sie und begann dann hysterisch zu lachen.
    Ich sagte ihr, sie hätte es den beiden gut gegeben, und die würden sicher nicht so schnell hier wieder auftauchen.
    »Ja«, sagte sie, »und mit der Erbschaft, das wird wohl nichts. In ihrem Testament werde ich ganz gewiss nicht vorkommen. Aber ich wüsste nicht, was die zwei vererben könnten.«
    Wir lebten schon ein halbes Jahr zusammen, als an einem Wochenende plötzlich meine Mutter erschien. Von Gitti wusste sie nichts, jedenfalls nicht von mir, aber sie hatte sich so etwas gedacht, da ich monatelang nicht zu meinen Eltern gefahren war. Als sie an der Wohnungstür klingelte, waren wir in den Betten, und da ich einen Freund erwartete, hatten wir uns nichts übergezogen, als ich die Tür öffnete. Wir waren beide splitternackt, und Mutter brauchte einige Zeit, um sich von diesem Schock zu erholen. Jedenfalls musste ich nicht mehr viele Worte machen, sie konnte selbst sehen, wie es mir ging und wie es um uns beide stand. Ich merkte, dass sie zu schlucken hatte, dann bemühte sie sich um ein herzliches Verhältnis zu Gitti, als ich ihr sagte, dass wir verlobt seien und heiraten wollten. Nachdem ich Mutter zur Bahn gebracht hatte, fragte Gitti, was das heißen solle mit Verlobung und Heiraten, ob sie denn da überhaupt nicht gefragt werde. Ich sagte, ich sei der Ansicht, das wäre eine abgemachte

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