Landnahme
mich. Für einige lohnte es sich vermutlich, sie wollten weiterkommen und traten deshalb in eine Partei ein, ich konnte mir jedoch nicht vorstellen, was es Bernhard bringen sollte. Schließlich wollte er Tischler werden, da musste man nicht wie die Zeitung reden, aber vielleicht hatte er eine ganz andere Karriere im Auge und wollte auf sich aufmerksam machen. Jedenfalls tat er sich sehr dabei hervor, als die Bauern für die Genossenschaft geworben werden sollten. Manchmal verrammelte der Bauer das Hoftor und ließ sie nicht auf sein Gehöft, dann stellten sie sich stundenlang vor seinem Haus auf und riefen immer wieder seinen Namen. Auf den Dörfern kamensie sogar mit Lautsprecherwagen, stellten sie vor den Gehöften auf und spielten dann stundenlang und sehr laut Musik, unterbrochen von den Aufforderungen, das Tor zu öffnen, sich nicht dem Fortschritt zu verweigern und in die Genossenschaft einzutreten. Bei uns in der Stadt wurden keine Lautsprecherwagen aufgestellt. Die Gruppen der Agitatoren standen vor der Tür oder dem Hoftor, und ab und zu klopften sie energisch dagegen. Es gab Bauern, die nach kurzer Zeit die Tür öffneten, weil ihnen der Menschenauflauf vor ihrem Haus peinlich war. Andere weigerten sich hartnäckig zu öffnen, nach einigen Stunden mussten sie aufgeben, weil das Vieh zu versorgen war, das auf der Weide stand, oder weil sie ihre Arbeit nicht liegen lassen konnten und mit dem Trecker vom Hof fahren mussten. Dann wurden sie aufgehalten und in ein Gespräch verwickelt, oder es wurde ihnen vielmehr so zugesetzt, dass ihnen kaum etwas anderes übrig blieb, als den Aufnahmeantrag zu unterschreiben. Einige Bauern weigerten sich trotzdem, sie wollten weiterhin allein wirtschaften und ihr Eigentum nicht aufgeben, denen machte man das Leben schwer, sie bekamen weniger Saatgut und Dünger als die anderen, und auf Maschinen konnten sie lange warten. Nach einiger Zeit gaben alle auf. Einige gingen nun in die Genossenschaft, andere ließen alles stehen und liegen und flohen in den Westen, um dort neu anzufangen.
Es gab ein paar Leute in der Stadt, die sagten, was man den Bauern antue, das sei Terror, doch das sagte keiner laut oder öffentlich. Die meisten missbilligten, was da passierte, hielten allerdings den Mund, um nicht aufzufallen und nicht selbst Unannehmlichkeiten zu bekommen. Und von den Leuten, die die Bauern agitierten, hielt man sich fern. Die meisten Einwohner schätzten sie nicht und verachteten sie, auch das sprach man nicht aus, sondern deutete es an, man verstand sich ohne viele Worte.
Bernhards Name allerdings wurde nicht nur hinter dervorgehaltenen Hand genannt, über ihn empörte man sich besonders und sagte es, da von ihm nichts zu fürchten war, direkt ins Gesicht. Er war ein Umsiedlerkind, von dem man Dankbarkeit erwartete und keine Unverschämtheiten. Und dass er sogar den Bauern agitiert hatte, bei dem er und seine Familie zuerst Unterkunft gefunden hatten, verübelte man ihm besonders. In dieser Zeit sah ich ihn ein einziges Mal, er begrüßte mich, ich nickte lediglich und ging weiter.
Nach der Lehre ging ich von zu Hause fort, ich zog nach Naumburg. Ich hatte dort eine Stelle in einer Schlosserei bekommen, in der vor allem landwirtschaftliche Maschinen, aber auch Personenautos repariert wurden. Die Arbeit gefiel mir, und mit dem Chef und den Kollegen kam ich zurecht, so dass ich mich darauf einrichtete, in Naumburg zu bleiben. Mit etwas Glück kam ich sogar zu einer eigenen Wohnung. Einer unserer Kunden arbeitete bei der Wohnungsverwaltung. Als ich dort wieder einmal nach einer Wohnung fragen wollte und den Gang entlanglief, öffnete ein Mann eine Zimmertür. Ich kam in diesem Moment an dem Zimmer vorbei und sah in der geöffneten Tür unseren Kunden an einem Schreibtisch sitzen. Auf dem Türschild stand sein Name und dass er der verantwortliche Leiter des Wohnungsreferates sei. Ich wartete nur, bis sein Besucher wieder herauskam, dann ging ich rasch hinein, streckte ihm die Hand entgegen und fragte ihn, ob er nun mit seinem Wagen zurechtkomme. Er erkannte mich nicht gleich, war dann sehr erfreut, bat mich, Platz zu nehmen und bot mir sogar Kaffee an. Ich sagte ihm, weshalb ich zum Wohnungsamt gekommen sei, er nickte und notierte sich etwas. Dann sagte ich ihm meinen Namen, und er versprach, mich anzurufen, und das machte er bereits eine Woche später. Es war eine Zwei-Zimmer-Wohnung, für die ich mir bei ihm den Besichtigungsschein abholte, sie war gut geschnitten, und die
Weitere Kostenlose Bücher