Landnahme
Lage gefiel mir, und so sagte ich sofort zu und zog eine Woche später ein. Alles lief für mich prächtig, und vielleichtwäre ich mein Leben lang in Naumburg wohnen geblieben und hätte Bernhard nie wieder gesehen. Dann gab es diese Geschichte mit Gitti, und mir blieb schließlich nichts anderes übrig, als die Arbeit und die Wohnung aufzugeben und wegzuziehen.
Gitti lernte ich gleich in der ersten Woche kennen. Ich traf sie an einem Samstagnachmittag, als ich allein durch die Stadt zog, um sie mir anzusehen. Aus dem Festsaal des Goldenen Löwen, einer großen Holzbaracke, die man durch den Gastraum betreten konnte, erklang Tanzmusik. Ich ging in die Gaststätte, in der drei alte Männer an einem Tisch saßen und Skat spielten. Neben dem Tresen der Gaststätte führte ein Gang zu den Toiletten und zum Eingang des Festsaals. Hinter der Tür der Männertoilette saß ein kleines Männchen mit einer verkrüppelten Hand an einem Tisch und verkaufte Eintrittskarten für den Saal. Ich stellte mich neben den Mann und versuchte, einen Blick in den Saal zu werfen. Eine Drei-Mann-Kapelle spielte alte Schlager, und der Gitarrist stand an einem Mikrofon und sang dazu. Das Publikum bestand, soweit ich es erspähen konnte, aus älteren Leuten, und auf der Tanzfläche waren keine Jugendlichen zu sehen. Ich fragte den Mann, was eine Karte kostet und wie lange die Musik noch spielt. Er sagte, es koste drei Mark, und sie würden bis sechs spielen. Ich sah auf die Uhr und sagte, für eine knappe Stunde Musik sei das sehr teuer. Er wiederholte nur, es koste drei Mark, und ich ging auf die Toilette. Als ich zurückkam, standen drei Mädchen bei dem Männchen und verhandelten mit ihm. Sie wollten gleichfalls nicht den vollen Preis bezahlen, der Mann ließ nicht mit sich reden. Schließlich beschimpften sie ihn und gingen hinaus. Ich folgte ihnen. Eines der Mädchen gefiel mir, sie hatte sehr kurzes Haar und eine lange Nase und war die Wortführerin bei dem alten Mann an dem Kassentisch gewesen. Die Mädchen blieben vor der Gaststätte stehen, und ich rauchte eine Zigarette und wartete ab, was passierenwürde. Als sie sich voneinander verabschiedeten, lief ich dem Mädchen mit den kurzen Haaren hinterher und sprach sie an. Sie sagte schnippisch, sie habe keine Zeit, aber dann durfte ich sie nach Hause begleiten und verabredete mich schließlich mit ihr für den nächsten Tag, den Sonntag.
Um zwei stand ich vor Gittis Haus und wartete darauf, dass sie herunterkomme. Als sie die Tür öffnete, sagte sie, ich solle für einen Moment mit ihr nach oben kommen. Auf der Treppe fragte ich sie, ob ihre Eltern ausgegangen seien und sie allein sei, sie schüttelte den Kopf und sagte, ich solle ihrer Mutter guten Tag sagen.
»Wozu denn das, um Himmels willen?«, fragte ich.
»Na, komm schon. Es geht ganz schnell, und dann können wir losgehen.«
Ihre Eltern saßen im Wohnzimmer, hörten Radio und lasen in Zeitschriften. Als Gitti mit mir ins Zimmer kam und mich vorstellte, sahen die beiden kurz auf und nickten. Sie gaben mir nicht die Hand und kümmerten sich nicht weiter um mich. Ich hatte nicht den Eindruck, dass ihre Eltern von ihr verlangt hatten, mich zu sehen.
»Und was war das eben?«, fragte ich Gitti, als wir endlich aus dem Haus gingen.
»Sie wollten dich sehen.«
»Das schien mir gar nicht so.«
»Darum musst du dich nicht kümmern. Die sind eben komisch.«
»Ich hatte das Gefühl, du wolltest mich vorführen?«
»Bilde dir nur nichts ein. So eine Schönheit bist du nicht, dass ich dich überall vorführen würde. Was machen wir denn jetzt? Ich hoffe, du hast dir etwas überlegt. Ich will nicht einen schönen Sonntag irgendwie verplempern.«
»Vielleicht könnten wir aus der Stadt rausgehen. In den Wald.«
»In den Wald. Toller Einfall. Ich komme mir vor wie meine eigene Großmutter. Willst du dort Pilze suchen?«
»Vielleicht. Vielleicht suche ich was, vielleicht finde ich was.«
»Das kannst du gleich vergessen. Ich denke, mit dir will ich nicht in den Wald gehen. Ich dachte, du spendierst mir etwas. Ein Glas Sekt vielleicht.«
»Sekt? Mein Gott, am Nachmittag schon Sekt. Ich weiß gar nicht, ob ich so viel Geld bei mir habe. Für ein Eis wird es reichen.«
»Wer mit mir ausgehen will, sollte nicht gleichzeitig sparen wollen.«
»Ich habe gerade erst angefangen und kriege nur ein paar Kröten, die müssen für einen ganzen Monat langen.«
»Na, ich seh schon, große Sprünge sind jedenfalls nicht angesagt.«
»Warts
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