Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
Vom Netzwerk:
ähnlich war wie der von den Brückenbauern damals.
    Was mir von Bernhards Auftritt erzählt wurde, überraschte mich. Ich wusste, dass er die Schule verlassen und irgendwo eine Lehre als Tischler angefangen hatte. Ich nahm an, er wollte irgendwann die Bude von seinem Vater übernehmen, einem Kriegskrüppel, der sich eine Tischlerwerkstatt aufgebaut hatte und, obwohl er nur einen Arm besaß, Möbel anfertigte. Der Mann muss sehr geschickt gewesen sein, denn mit einer Hand hätte ich nicht einmal einen Nagel in die Wand schlagen können. Ich wusste, Bernhard machte seine Lehre bei einem Tischler irgendwo auf einem der umliegenden Dörfer. Wir sahen uns nicht, die Tischler gingen zu einer anderen Berufsschule als die Schlosser. Ich hatte keine Ahnung, wieso er sich plötzlich derart verändert hatte, es klang so, als ob er ein ganz Überzeugter geworden wäre, ein Parteifunktionär oder so etwas Ähnliches. Über Politik hatten wir uns in der Schule kaum unterhalten, jedenfalls nicht auf dem Schulhof und schon gar nicht in unserer Freizeit. Was in den Schulstunden gesagt wurde, zählte nicht, da sagte halt jeder das, was erwartetwurde, und wenn sich einer vor dem Lehrer besonders hervortun wollte, ließ man nach dem Unterricht eine ironische Bemerkung fallen, und damit war die Sache erledigt. Ich ging davon aus, dass die Lehrer uns das erzählten, was man von ihnen erwartete, und dass wir ihnen dann eben die gewünschte Antwort geben sollten, damit alle ihre Ruhe haben. In jeder Klasse gab es natürlich ein paar Schüler, die das anders sahen, die von der offiziellen Meinung und den Erklärungen der Lehrer völlig überzeugt waren und stundenlang darüber reden konnten. Irgendwie ergab es sich immer, dass ich mit denen nichts zu tun hatte, und in unserer Clique war von denen nie jemand. Natürlich gab es ein paar, die nicht mit allem einverstanden waren und die nicht den Mund halten wollten, sondern den Lehrern widersprechen mussten. Ich weiß bis heute nicht, warum sie es taten, sie hätten sich an den zehn Fingern abzählen können, dass das nichts als Ärger einbringen würde, aber sie legten sich immer wieder mit den Lehrern an. Das gab dann für alle anderen eine halbe oder ganze Schulstunde, in der kein Unterricht stattfand und wir nur so tun mussten, als hörten wir zu. Irgendwann war immer ein Punkt erreicht, wo der Schüler schließlich nachgeben musste oder nichts mehr erwidern konnte, wenn er sich nicht selbst als ein feindliches Element entlarven wollte. Er saß schließlich mit hochrotem Kopf in seiner Bank, der Lehrer trug eine Bemerkung ins Klassenbuch ein, und der Unterricht ging weiter. Alle waren dann zufrieden, der Lehrer hatte sich durchgesetzt und das letzte Wort gehabt, und er konnte sich einreden, den Schüler überzeugt zu haben, wir hatten sozusagen eine zusätzliche Freistunde bekommen, und dem Schüler, der sich mit dem Lehrer angelegt hatte, war anzusehen, wie stolz er auf sich war. Vermutlich glaubte er, dass wir seinen Mut bewundern würden, ich fand es idiotisch. Wenn er seine Meinung runtergeschluckt hätte, wäre er daran nicht erstickt und hätte einen Eintrag weniger, den er sicher irgendwanneinmal bereuen würde. Mir jedenfalls konnten die Lehrer den dümmsten Unsinn erzählen, ich habe ihnen nie widersprochen, und ich denke, das tat ich nicht, weil ich etwa feige war. Dieser ganze politische Quatsch interessierte mich einfach nicht, und keiner der Lehrer, und schon gar nicht diejenigen, die uns politisch erziehen wollten, war mir so wichtig, dass ich ihm widersprach. Die Ohren auf Durchzug stellen, das war damals meine Haltung, und das ist sie bis heute geblieben, ich bin, denke ich, damit gut gefahren. Wenn mein Abschlusszeugnis nicht rosig zu nennen war, es war jedenfalls nicht getrübt von irgendwelchen politischen Bemerkungen, auf die mein Lehrausbilder hätte reagieren müssen.
    Und Bernhard fiel, soviel ich weiß, politisch in der Schule nie auf. Man hatte sich durchzuschummeln und irgendwie über die Runden zu kommen, das war meine Haltung und die meiner Freunde und sicher auch seine, jedenfalls habe ich nie etwas anderes von ihm oder über ihn gehört. Ich habe mich nie mit ihm über solche Themen unterhalten, sie interessierten uns einfach nicht, und sich zusätzlichen Ärger einbrocken, daran war keinem von uns gelegen, wir hatten mit dem Schulstoff genug zu tun. Dass Bernhard plötzlich politisch wurde und mächtig auf die Pauke haute, als sei er sonst wer, überraschte

Weitere Kostenlose Bücher