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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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widersprach ich ihr nicht, sondern nickte und redete beruhigend auf sie ein. Sechs Wochen später erzählte sie mir, sie glaube, dass sie noch immer schwanger sei, denn die Regel sei nun wieder ausgeblieben, und sie habe so ein merkwürdiges Gefühl. Ich fiel aus allen Wolken, ich hatte ihre Schwangerschaft längst vergessen und abgehakt und war seitdem etwas vorsichtiger geworden. Ich fragte sie, ob wir nochmal die Sitzbäder und die Geschichte mit dem gepfefferten Rotwein machen sollten, davon wollte sie nichts hören. Ohne mein Wissen ging sie zu einem Arzt, und der sagte ihr, dass sie im vierten Monat sei und was sie nun zu machen habe. Jetzt freute sich Gitti auf das Kind und wollte es unbedingt bekommen. Sie fing sogar an, Kinderkleidung zu stricken. Ich hatte einige Mühe, mit mir und der neuen Situation zurechtzukommen, schließlich war ich gerade erst zwanzig geworden und hatte eigentlich etwas anderes vor, als einen Kinderwagen durch den Park zu schieben. Mit jedem Tag, der verging, fügte ich mich in das Unvermeidliche, und irgendwann, ich glaube, es war an dem Tag, an dem mich der Meister mit der schwangeren Gitti sah und mir gratulierte, begann es mir Spaß zu machen. Ich vernachlässigte sogar meinen Wagen und baute im Keller an einem Babybett.
    Ich fragte Gitti, ob wir nicht heiraten wollten. Das Kind brauche seine Eltern, und da wir es nun einmal bekämen, könnten wir das Ganze gleich richtig in die Tüte bringen. Sie wollte mich noch immer nicht heiraten. Sie sagte, mit einem dicken Bauch wolle sie nicht vor den Altar treten, obwohl ich nicht eine Sekunde daran gedacht hatte, kirchlich zu heiraten. Ich war überrascht und fragte sie, ob siedenn gläubig sei, denn wir hatten nie darüber gesprochen. Wie ich ging sie nie in die Kirche, und so nahm ich an, dass auch sie kein besonderes Interesse daran habe. Sie erzählte mir, sie sei getauft und konfirmiert und seitdem nie wieder in die Kirche gegangen, heiraten jedoch wolle sie mit einem Pfarrer, und getauft werden müsse das Baby auch. Ich drängte sie, dass wir vor der Geburt zumindest standesamtlich heiraten sollten, das wäre für das Baby besser, und es bekäme dann gleich den richtigen Namen, sie wollte nichts davon hören. Ich war zwar verwundert, dachte mir aber nichts dabei. Ich war so ein Idiot damals, ich begriff und ahnte nichts. Ich war verwundert, dass sie trotz ihrer Schwangerschaft nicht heiraten wollte, weil andere Mädchen spätestens dann ganz scharf darauf waren zu heiraten, wenn sich Nachwuchs ankündigte. Ich sagte mir, dass Gitti immer etwas anders war als andere, und würde sie dann eben nach der Geburt heiraten und mit dem Kind im Arm. Irgendwann fuhr ich nach Hause und erzählte es meinen Eltern. Sie waren beide sehr aufgeregt und besorgt, ich hatte den Eindruck, sie freuten sich auf ihr Enkelkind. Sie fragten nach der Hochzeit. Ich sagte ihnen, wir würden nach der Geburt heiraten und sie rechtzeitig einladen, und meine Mutter sagte, das wäre vernünftig, denn eine Hochzeit sei immer anstrengend und einer Schwangeren nicht zumutbar. Natürlich war es ihnen nicht wirklich recht, dass unser Kind außerehelich geboren wurde, doch das war mehr wegen der Nachbarn und dem Gerede. Ansonsten waren meine Eltern sehr aufgeschlossen. Es kränkte sie allerdings, dass ich allein zu ihnen kam, und sie verstanden es überhaupt nicht, wieso meine Braut, wie sie Gitti nannten, nicht mitgekommen war.
    Im Oktober war die Adler-Limousine fertig. Ich hatte sie silberfarben lackiert, und es war eine Prachtkutsche geworden, wie man sie in Naumburg nur aus dem Kino kannte. Gitti war im achten Monat, das hielt sie nicht davon ab, mitmir in unserem Auto durch die Stadt zu fahren und kleinere Ausflüge in die Umgebung zu unternehmen. Allzu schnell fuhr ich ohnehin nicht, denn der halbe Motor war neu und alle Teile mussten sich erst richtig einlaufen. Wir verbrachten eine gute Zeit mit dem Wagen. Jeden Tag nach Feierabend fuhren wir eine Runde durch die Stadt, hielten hier und dort an, um mit Freunden zu reden, wobei wir nicht ausstiegen, sondern die Fensterscheiben herunterdrehten. Auf Gittis Drängen hin ließ ich manchmal eine ihrer Freundinnen hinten einsteigen und drehte eine Runde. Am liebsten war es mir, wenn wir zu zweit durch die Stadt rollten oder die Baumalleen entlang. Einmal in der Woche lag ich unter dem Wagen, um nochmals alles zu prüfen und Schrauben nachzuziehen. Eigentlich gab es nichts auszusetzen, der Wagen lief und lief, und mein

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