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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Sache.
    »Hast du dir gedacht?«
    »Ja.«
    »Du hast dir gedacht, was ich denke? Versteh ich das richtig?«
    »Reg dich nicht auf. Was hast du denn? Andere Mädchen wären mir dafür um den Hals gefallen.«
    »Dann erzähle es diesen anderen Mädchen. Von Heirat habe ich jedenfalls nie ein Wort gesagt. Und ich wüsste nicht, dass ich mit irgendjemandem verlobt bin. Müsste ichdas nicht wissen? Hast du dich verlobt, als ich gerade mal aus dem Zimmer war?«
    »Mein Gott, wir leben schon über ein halbes Jahr zusammen. Da ist es ja nicht völlig aus der Luft gegriffen, wenn man an Heiraten denkt.«
    »Dann denk mal schön dran. Aber erzähle nicht irgendwelchen Leuten, dass ich vorhabe, dich oder irgendwen zu heiraten. Was ich denke, mein Lieber, das hast du dir jedenfalls noch nie gedacht.«
    »Was ist dir für eine Laus über die Leber gelaufen? Willst du abhauen? Hast du genug von mir? Hast du einen andern?«
    »Hab ich das gesagt? Habe ich ein Wort davon gesagt? Ich habe es nicht gern, wenn irgendjemand über mich bestimmen will. Da hätte ich gleich bei meiner Mutter und ihrem beschränkten Beschäler bleiben können.«
    »Ist ja gut. Reg dich ab. Das mit dem Heiraten hab ich nur so gesagt. Wegen meiner Mutter.«
    »Ich muss mich nicht abregen, ich bin ganz ruhig. Bloß wegen deiner Mutter heirate ich nicht, das schreib dir hinter deine ungewaschenen Ohren.«
    Ich sagte, dass ich bei einem Freund vorbeigehen müsse und verzog mich. Worüber sich das Mädchen aufregte, verstand ich überhaupt nicht, ich hatte jedoch keine Lust, ein so sinnloses Gespräch fortzuführen. In Wahrheit hatte ich an Heirat nicht gedacht, ich hatte darüber nie nachgedacht. Wir lebten ganz gut zusammen, und das reichte mir. Ob ich mit Gitti ein ganzes Leben zusammenbleiben wollte, wusste ich nicht, aber ich verstand überhaupt nicht, weshalb sie sich so aufgeblasen hatte. Andere Mädchen, die ich kannte, waren alle ganz wild danach zu heiraten. Gitti war eben anders.
    Nach der Arbeit blieb ich fast jeden Tag ein, zwei Stunden in der Werkstatt, um an meinem Adler zu arbeiten, einer großen Sechs-Fenster-Limousine, die schon über zwanzigJahre alt war. Ein richtiger Oldtimer, Baujahr 1936. Von dem wurden allenfalls ein paar tausend Stück gebaut, und heute wird es davon kaum mehr als ein Dutzend geben, wenn überhaupt. Dass ich so spät nach Hause kam, gefiel Gitti überhaupt nicht, und sie nörgelte. Ich sagte ihr, wenn der Wagen fertig sei, wäre sie die Erste, die darin spazieren fahren könne, und alle in der Stadt würden Augen machen und uns um dieses Prachtstück beneiden. Jedenfalls ließ ich mich von ihren Launen nicht davon abhalten, nach Feierabend an meinem Auto zu arbeiten. Mein Meister, der sich gelegentlich den Wagen ansah, sagte einmal, er glaube, wenn ich so weitermache, sei die Limousine bald in einem besseren Zustand, als sie es bei der Auslieferung war.
    Mir kamen ein paar Geschichten über Gitti zu Ohren. Dieser und jener habe sie mit anderen Männern gesehen. Ich sprach einmal mit ihr darüber, sie stritt es ab, und es gab dann eine solche Szene, dass sie schließlich drei Tage nicht mit mir sprach und ich mich bei ihr entschuldigen musste. Wenn ich danach irgendetwas über sie hörte, bot ich dem Betreffenden Prügel an. Das half schließlich. Mir erzählte keiner mehr Sachen über Gitti.
    Wir wohnten genau ein Jahr zusammen, als sie schwanger wurde. Mir passte es überhaupt nicht, ein Kind konnte ich nicht gebrauchen, denn ich wollte rasch die Gesellenprüfung und, sobald ich dafür zugelassen würde, meinen Meister machen, um später selbst einmal eine Werkstatt zu eröffnen. Ich war erleichtert, dass auch Gitti das Kind nicht wollte, und wir hörten uns um, wer in der Stadt eine Abtreibung machen könnte. Ich hatte von alten Frauen gehört, doch ich wusste nichts Genaues, und die einzige Person, die Gitti kannte, war eine Freundin ihrer Mutter, zu der sie nicht gehen wollte. Schließlich bekamen wir von einer Bekannten ein Rezept mit Rotwein, Pfeffer, irgendwelchen Gewürzen und kochendheißen Sitzbädern. An einem Wochenende machten wir zweimal diese Prozedur, Gitti jammerteund fluchte, hielt aber durch, und zehn Tage später hatte sie wieder ihre Blutungen. Wir waren beide erleichtert oder jedenfalls ich, denn ein paar Tage später sagte Gitti, sie würde es bedauern und hätte ein schlechtes Gewissen. Sie hätte das Kind bekommen sollen, wir wären schon irgendwie damit klargekommen. Da es überstanden war,

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