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Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)

Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)

Titel: Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Dov Kulka
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Vorarbeiter in den Arbeitseinheiten. Die meisten dieser Funktionsträger stammten aus der Gruppe der ersten Häftlinge des Ghettos Theresienstadt und einige von ihnen aus den Rängen der Ghettoleitung. Die höchste Autorität jedoch besaß nach Einschätzung der Häftlinge wie auch der SS, wenngleich sie nicht formal begründet war, der Leiter des Erziehungs- und Jugendzentrums Fredy Hirsch.
    Bis zur Liquidierung der Deportierten des ersten Transports aus Theresienstadt glaubten alle, dass der besondere Status des »Familienlagers« sie davor bewahren würde, in den Gaskammern vernichtet zu werden, die nur einige Hundert Meter von ihrem Lager entfernt betrieben wurden. Hunderttausende von Juden, die aus ganz Europa hergebracht worden waren, sowie Tausende von Häftlingen, die man als »arbeitsuntauglich« selektiert hatte, wurden in dieser Zeit in jenen Anlagen unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet. Nach der völligen Vernichtung des ersten Transports am Ende der anberaumten sechs Monate führten die in diesem Sonderlager verbliebenen Häftlinge ihr Leben offenbar nach der bestehenden Routine weiter: Im Krankenbau unternahm das medizinische Personal auch weiterhin den verzweifelten Versuch, das Leben der Kranken und Alten zu retten; Erziehungsarbeit und Jugendaktivitäten erreichten neue Höhepunkte, darunter Konzerte und Theateraufführungen. Sogar die ideologischen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen sozialen und religiösen Strömungen wurden weitergeführt: Die Diskussionen befassten sich mit unterschiedlichen Visionen der künftigen idealen gesellschaftlichen Ordnung der Menschheit ebenso wie mit der sinnvollsten Form jüdischer Ansiedlung in Palästina. Im Unterschied zu der vorangegangenen Zeit fanden alle Aktivitäten nun jedoch in dem klaren Bewusstsein statt, dass alle Häftlinge des Lagers an einem bereits vorbestimmten Datum zur Vernichtung verurteilt waren. Nicht einmal jene, die sonst als »arbeitstauglich« eingestuft worden wären, hatten die geringste Chance, diesem Schicksal zu entgehen – eine Hoffnung, die die anderen Auschwitzhäftlinge sehr wohl hegten.
    Ein Thema, das offensichtlich alle beschäftigte, war die Frage, wie sie dem Tod entgegentreten würden, vor allem aufgrund der Berichte darüber, wie sich die Gruppe der Häftlinge des ersten Transports im Angesicht des Todes in den Gaskammern verhalten hatte. Fredy Hirsch nahm sich im letzten Moment selbst das Leben, andere Führungspersönlichkeiten versuchten, Widerstand zu leisten; einige sangen aus den Tiefen der unterirdischen Gaskammern die »Hatikwa« (die Nationalhymne des im Werden begriffenen jüdischen Staates), die tschechische Nationalhymne oder die Internationale (»Gesänge aus dem Grab«, wie Zalman Gradowski sie in seinem in Auschwitz vergrabenen Tagebuch nannte). Diese Handlungen waren, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, eine Art »Glaubensbekenntnis« der drei säkularen Bewegungen des politischen Messianismus, zu denen sich der Großteil der europäischen Judenheit jener Zeit bekannte: die zionistischen Bewegung; die Bewegung, die glaubte, dass die Erlösung der Juden in ihrer Integration in die Nationalbewegungen der jeweiligen Völker liege, unter denen sie lebten; und schließlich die sozialistische Bewegung und ihr Versprechen einer universellen Erlösung. Das traditionelle jüdische Glaubensbekenntnis beruhte natürlich auf der Beziehung zwischen Mensch und Gott. Aus einer Sekundärquelle, den Erinnerungen des Rabbiners Sinai Adler, eines Überlebenden des »Familienlagers«, erfahren wir mehr über die religiöse Auseinandersetzung mit dem wohl unausweichlichen Schicksal des Todes.
    Eine weitere einzigartige Botschaft blieb uns von der Schwelle der Gaskammer erhalten: drei Gedichte. Sie sind das gewaltige poetische Testament einer anonymen zwanzigjährigen Dichterin, die eine Anklage im Namen jener Millionen hinterließ, die von den Flammen verzehrt wurden und deren Asche in alle Winde verwehte. Ihre zunächst persönliche Botschaft richtet sich zugleich an eine ganze Generation, oder spricht in ihrem Namen, Europas Jugend, die auf dem Altar des Krieges geopfert wurde, als sie blindlings den verheißungsvollen, aber betrügerischen Losungen ihrer Führer folgte. Die Botschaft der Autorin zeugt von ihrem unerschütterlichen Bekenntnis zum Humanismus und von einer radikal-moralischen Überzeugung, jegliche Gewalt und jegliches Blutvergießen um jeden Preis und unter Einsatz des eigenen Lebens

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