Lange Finger - flinke Beine
wenn Ihr Anliegen wirklich so dringend ist...«
»Es handelt sich um eine äußerst vertrauliche Angelegenheit!« unterbrach Boransky.
»Und wen darf ich anmelden? Wie ist Ihr Name?« Boransky beugte sich etwas vor, leise fragte er: »Wie heißen Sie?«
»Ich??? Wieso??«
Die einfache Frage nach seinem Namen schien den großen Mann irritiert zu haben. Er gab sich Mühe, seine Verdutztheit nicht zu offensichtlich werden zu lassen. Boransky fuhr fort:
»Sehen Sie... Namen. Mein Name, Ihr Name... Schall und Rauch. Herr Marussen wird zur rechten Zeit erfahren, warum ich mit meinem Namen so sparsam umgehe. Würden Sie mich bitte anmelden!«
Ein durchdringender und mißtrauischer Blick traf Boransky, dann nickte der Mann. »Bitte, gedulden Sie sich einen Augenblick. Herr Marussen hört gerade Mozart.«
»Beethoven!« verbesserte Boransky.
Der gleiche Blick. Ohne ein weiteres Wort ging der Mann auf die Haustür zu und verschwand im Haus.
In diesem Augenblick wußte Olaf Boransky, daß die Würfel gefallen waren. Er lauschte der Musik nach, die weder lauter noch leiser eingestellt wurde. Etwa fünf Minuten vergingen, bis sich die Haustür wieder öffnete.
Doch nicht der erwartete großgewachsene Mann stand dort, sondern eine junge, rothaarige Frau in Jeans und mit einer Zigarette zwischen den Lippen.
Sie musterte ihn kurz, nahm die Zigarette aus dem Mund und nickte ihm zu.
»Mein Onkel erwartet Sie!«
Als er an ihr vorbeiging, stellte er fest, daß sie doch älter war, als es auf den ersten Blick den Anschein gehabt hatte. Er betrat eine Art Empfangshalle, die vollgestellt war mit Heiligenfiguren in allen Posen und aus allen Epochen. Die dicken Teppiche schluckten jeden Schritt, und selbst die Musik klang hier gepolstert.
Die junge Frau deutete auf eine breite, nach oben führende Treppe.
»Die Treppe hoch, dann die zweite Tür rechts!«
»Vielen Dank, Fräulein!«
Er stieg die Stufen hinauf. Seine Blicke streiften die Gemälde rechts und links des Aufgangs. Links gaben sich ausschließlich Expressionisten ein Stelldichein, während das Gegenüber aus Gemälden des 18. Jahrhunderts bestand.
6. Kapitel
Ein »Herein!«-Ruf übertönte die Musik.
Boransky kam der Aufforderung nach.
Der Raum mochte etwa fünfzig Quadratmeter groß sein und war ausgestattet mit antiquarischen Raritäten und Kostbarkeiten. Olaf Boransky jedoch verschwendete keinen Blick an das wertvolle Interieur. Seine Augen waren auf den Mann im Ledersessel hinter dem Schreibtisch aus der Zeit Ludwigs XVI. gerichtet.
Ein Mann mit sorgfältig gescheiteltem grauem Haar, um die sechzig. Ein Mann mit schmalem Gesicht und feinen, ja fast edlen Gesichtszügen. Ein Mann, der aussah, als trage er seit dem ersten Tag seines Lebens maßgeschneiderte Anzüge aus teurem englischem Tuch. Ein Paar dunkle Augen sahen Boransky freundlich entgegen. Seine Rechte legte sich auf eine Art Schaltpult neben dem Schreibtisch, und die Musik, die aus vier Lautsprechern quadrophonisch den Raum erfüllte, wurde leiser.
»Kennen Sie dieses Klavierkonzert?« fragte Marussen mit einer wohltemperierten Stimme.
Boransky zwang sich zu einem Nicken.
»Ich meine, es ist Beethoven.«
»Ja, Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur. Eine wunderbare Aufnahme. Ich liebe sie über alles.« Es folgten ein freundliches Lächeln und eine einladende Handbewegung in Richtung des zweiten Sessels, der schräg vor dem Schreibtisch stand.
»Bitte, nehmen Sie Platz!«
»Danke, ich bleibe lieber stehen.«
Ein Schulterzucken. »Bitte, wie Sie wünschen. Ihren Namen wollten Sie auch nicht nennen, wurde mir gesagt.«
»Ihr Gorilla ist ein Flegel, Herr Marussen!« stieß Boransky unbeherrscht hervor und erntete dafür ein erschrockenes »Oooh!«, das vom Hochziehen der linken Augenbraue eingeleitet wurde.
Marussen schüttelte den Kopf, was er sagte, klang nachsichtig, fast väterlich:
»Sie sollten nicht von jedem erwarten, daß er ein Schöngeist ist. Erich ist mein Gärtner, und Autofahren hat er auch gelernt. Er mag zwar ein bißchen zurückgeblieben und auch tolpatschig sein, ihn aber als Gorilla zu bezeichnen, finde ich übertrieben und auch ein bißchen unhöflich.« Es folgte eine Absolution erteilende Handbewegung. »Doch ich will die Dinge nicht dramatisieren, kommen wir lieber zu Ihrem Anliegen, das Sie zu so später Stunde zu mir geführt hat.«
»Es wäre mir lieb, Sie würden Beethoven abschalten.«
»Sie sagen mir Ihren Namen, und ich schalte Herrn Beethoven ab!« lächelte
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