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Lange Finger - flinke Beine

Lange Finger - flinke Beine

Titel: Lange Finger - flinke Beine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ecke
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Qualität des Essens noch nahm er wahr, daß er den Kaffee übersüßte und daß das, was er las, nicht in sein Bewußtsein drang. Seine Gedanken beschäftigten sich ausschließlich mit der Hauptfigur seines Traumes.
    »Man sieht es ihm nicht an«, hatte Kaiser gesagt. »Er ist der vornehmste, aristokratischste und gepflegteste Antiquitätenhändler, den ich je gesehen habe.«
    Boransky sah es vor sich, jenes vornehme, aristokratische und gepflegte Gesicht, doch nicht vornehm, aristokratisch und gepflegt, sondern voller Unbehagen, nagender Besorgnis und von nackter Angst verzerrt.
    »Ich werde ihn meine ganze Verachtung und meinen ganzen Haß spüren lassen.«
    Er zahlte. Bevor er sich erhob, schob er sich unauffällig einen Kaugummi in den Mund und begann ihn zu zermalmen. Nicht langsam, bedächtig oder gar genußvoll, sondern rasch, in fast maschinellem Rhythmus.
    Es war dunkel geworden.
    Boransky schlenderte zu seinem VW, lehnte sich gegen das Dach und suchte nach Augenzeugen. Doch niemand schien in diesem Augenblick in der Nähe zu sein. Er holte den Kaugummi aus dem Mund, rollte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger zu einer Kugel und formte aus dieser eine kleine Fläche. Dahinein drückte er zur Hälfte den Wagenschlüssel und preßte anschließend alles zusammen an die Innenseite der vorderen Stoßstange.
    »Ich bin ganz ruhig... Ich bin ganz ruhig... ruhig...« Mit den Händen in den Taschen schritt er in Richtung Nelkenweg.
    »Ich bin ganz ruhig... ganz ruhig...«
    Das Mädchen Melanie fiel ihm plötzlich ein. Die Geschichte ihrer Prophezeiung. Nein, Golf hatte ihn wirklich nie sonderlich interessiert. Wie weit würde sie wohl inzwischen gekommen sein?
    Warum konnte sie nicht sagen: Du gefällst mir, laß deine unaufschiebbare Angelegenheit sausen, komm mit mir. Vielleicht wird was aus uns. Komm, einfach so. Nehmen wir uns bei der Hand und probieren die Welt gemeinsam...
    Gemeinsam... Gemeinsam wie er und Kaiser...
    Er sah das Bild mit dem lachenden Kindergesicht vor sich. »Sie heißt Aida!« hatte Kaiser gesagt und sich an seiner ungläubigen Miene geweidet. »Und weißt du, warum? Weil sie während der Oper >Aida< zur Welt kam.«

    ANTIQUITÄTEN

    Das Schild war nur schwach beleuchtet.
    Im Gegensatz zum ersten Mal brannte jetzt nur noch hinter drei Fenstern Licht.
    Das Tor zur Auffahrt stand offen. Ein weiterer Mosaikstein im großen bunten Bild des makellosen Geschäftsmannes. Sonst war es ja wohl üblich, daß die Tore, die in die Höhlen von Löwen führten, verschlossen und bewacht waren.
    Aus einem Fenster drang Musik zu ihm. Ein Klavierkonzert von Beethoven. Es stand in seltsamem Kontrast zu dem Knirschen des Kieses unter seinen Schuhen.
    Olaf Boransky fühlte sich außerstande, das Gefühl von eisiger Kälte, das in ihm hochkroch, zu verdrängen.
    Er zwang sich, daran zu denken, woher er kam und was ihn dorthin gebracht hatte. Seine Schritte wurden langsamer.
    Er befand sich nur noch wenige Meter vom Haus entfernt, als es ihn wie ein hinterhältiger Schlag traf: unerwartet und schmerzhaft.
    »Stopp, nicht so hastig, der Herr. Haben Sie sich verlaufen? Oder wollen Sie wirklich hierher?«
    Boransky war schon beim ersten Wort mitten in der Bewegung erstarrt. Der Mann, dem die Frösteln verursachende Stimme gehörte, trat aus dem Schatten eines ausladenden Holunderbusches und näherte sich ihm bis auf drei Schritte. Er kam Boransky wie ein Riese vor. Ein Riese, der sich ungemein geschmeidig bewegte.
    Boransky räusperte sich. Und er spürte eine gewisse Erleichterung, als er feststellen konnte, daß ihm seine Stimme gehorchte.
    »Sie haben mich erschreckt. Finden Sie es besonders höflich, jemanden aus dem Dunkeln heraus anzusprechen?« Der Riese vor ihm blieb unbeeindruckt. Im gleichen tiefgefrorenen Tonfall stellte er fest:
    »Das ist keine Antwort auf meine Frage!«
    »Ach, Sie wollen damit sagen, daß Ihre Frage ernst gemeint war!«
    »Ich habe sie klar und deutlich gestellt. Sollten Sie jedoch mit der Antwort Schwierigkeiten haben, würde ich mich veranlaßt sehen, die Polizei zu verständigen.«
    Du falscher Hund! dachte Boransky, ohne sein Gesicht zu verziehen.
    »Ich möchte zu Herrn Marussen!«
    »Sie möchten zu Herrn Marussen!« Es war eine nüchterne Wiederholung seines Anliegens.
    »Herr Marussen betreibt ja wohl ein Gewerbe. Ist mein Anliegen so ungewöhnlich?«
    »Seit über einer Stunde ist keine Geschäftszeit mehr. Aber...«, in die Stimme des Riesen trat ein versöhnlicher Ton, »...

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