Langenscheidts Handbuch zum Glück (German Edition)
andere genießt melancholische Grundstimmungen und will sie nicht für ein gutgelauntes Pfeifen hergeben. Jedem Preußen ist Pflichterfüllung wichtiger als hedonistisches Genießen. Buddhisten bemühen sich, das Streben nach Glück mit all seinen Unwägbarkeiten zu überwinden. Mancher ist lieber unglücklich verliebt als gar nicht. Und Charles de Gaulle fuhr einen Journalisten, der ihn danach fragte, ob er glücklich sei, ungehalten an: »Halten Sie mich für einen Idioten?«
»We are only happy, if we are unhappy«, sagen die Engländer ironisch. Es ist allerdings offensichtlich: In all der kritischen Distanz zum Glück als oberstem Ziel steckt immer ein Glück der höheren Ebene, das ich eben nur im Granteln, Sehnen, Diszipliniert- oder Verliebtsein empfinde. Also doch Glück, nur keines von der Stange und auch nicht eines des einfachen Weges. Wie kann ich – so die zugrunde liegende Annahme – glücklich sein, wenn es das beim Supermarkt gibt? Ich muss es mir schon erkämpfen, sonst ist es nichts wert. Jeder andere Weg ist nicht der meine, und er würde mich nicht glücklich machen.
Die oben skizzierte Glücksdiktatur hat einen weiteren Haken: Was ist mit all den Menschen, die aus guten Gründen wirklich unglücklich sind? Wir wissen spätestens seit Hegel, dass Glück eigentlich nicht im Plan der Schöpfung vorgesehen ist. Leid überwiegt Lust im Leben. Jene Mitmenschen, die davon besonders betroffen sind, belastet es zusätzlich, wenn sie ständig hören müssen, jeder könne glücklich sein, wenn er sich nur bemühe.
Vielleicht ist ja die Suche nach Sinn der elegantere Weg zum Glück. Wie gesagt, im Moment des Glücks stellt sich die Frage der Sinnhaftigkeit nicht mehr. Wir erreichen es möglicherweise am einfachsten durch eben dieses Fragen und den Versuch, die uns angemessenen Antworten zu finden. Der Sinn des Lebens liegt in der Suche nach demselben.
Sinn kann in diesem komplexen Wechselverhältnis zum Glück viel bedeuten. Der lebenskluge Berliner Philosoph Wilhelm Schmid sieht vier Dimensionen:
Der sinnliche Sinn
Könnten wir glücklich sein, wenn wir weder sehen noch hören noch schmecken noch riechen noch empfinden könnten? Nein. Glück geht nicht ohne Sinne, Sinn auch nicht.
Der seelische Sinn
Hier geht es um Freundschaft und um Liebe, um Heimat und Geborgenheit, um Tiere und Natur. Glück vereinsamt ohne all das.
Der geistige Sinn
Denken, deuten, begründen, Zusammenhänge herstellen, Ziele setzen – oft mag uns all das frustrieren und auch unglücklich machen, aber wir können nicht anders und würden unglücklich werden ohne.
Der transzendierende Sinn
Er führt uns aus unserem konkreten Leben heraus und in Religiosität und Spiritualität hinein. Woher kommen wir, wohin gehen wir? Selbst wenn wir ständig an die Grenzen des Wissens und Erkennens stoßen, wir brauchen Sinn auch in diesem Sinne.
Sinnerfahrung und damit Glück können wir nach Schmid in allen vier Dimensionen erfahren. Einer geht auf in raffinierten Kochkünsten, ein anderer im Aufziehen von Kindern. Einer liebt es, mit Reden die Herzen der Menschen zu berühren, ein anderer hat sein Zentrum in der Meditation gefunden. Im Alltag erscheinen alle Sinnerfahrungen interessant, wichtig, herausfordernd oder spannend. Die Amsterdamer Philosophin Beate Rösler löst die Spannung zwischen Glück und Sinn daher im Begriff des gelungenen Lebens auf: Wenn wir mit Menschen, die wir schätzen, Projekte verfolgen würden, die uns wichtig und vielversprechend erschienen, gelänge Leben und entstünde Glück. Meistens übrigens, wenn objektiver und subjektiver Sinn zusammenkommen … (Rede »Autonomie, Glück und der Sinn des Lebens«, 2011).
Solche Gedanken lassen jeglichen Ansatz zu einer Glücksdiktatur einstürzen wie die Mauer zwischen Ost und West 1989. Trotzdem bleibt die Frage: Was genau ist dann Glück?
In den langen Jahren theoretischer und praktischer Beschäftigung mit dem Thema habe ich viele Definitionsversuche scheitern sehen. Allein schon wegen der absoluten Subjektivität der Ausgestaltung (der eine liebt eben Oper, der andere Fußball – um es auf den Punkt zu bringen) ist das Unterfangen sehr schwierig. Trotzdem hier mein Versuch (offensichtlich meine ich nicht das Glück im Spiel, sondern die Freude an demselben; nicht das Zufallsglück, sondern das innere Lächeln):
Glück – das sind jene besonderen Momente, in denen wir eins sind mit uns selbst, unseren Erwartungen, unserem Tun und unserer Umwelt.
Die
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