Lanzarote
die Begeisterungsfähigkeit des anderen nur unterschiedliche Verfahren sind, sich vor derselben Sache der Dauer zu schützen.
Beide Charaktere fürchten die Institutionalisierung des Lebens. Houellebecqs Held identifziert sich mit der Langeweile. Er kultiviert sie, er versucht, sie sich einzuverleiben, weil er davon ausgeht, das sei der einzige Weg sich der Konfrontation mit der Dauer zu entziehen. Er füchtet sich in die Verachtung einer Welt, die in immer neuen Varianten nur das eine kennt:Kampf um Dominanz. Sein sich vor ihm ekelnder Leser fürchtet die Langeweile nicht weniger als er. Darum fieht er in immer neue Leidenschaften. Seine jüngste könnte sogar ohne es sich oder gar anderen eingestehen zu wollen die für Houellebecq drastisch bis in die Liebesbeziehungen hinein betriebene „Ausweitung der Kampfzone“ sein.
erschienen in: Berliner Zeitung 20.02.1999
„Ich genieße es, mich zu langweilen“
Frankreichs Star-Pessimist Michel Houellebecq hat ein neues Buch geschrieben: „Lanzarote“, eine sarkastische Typologie des Tourismus. Mit einer neuen Lyrik-CD tingelt der Autor jetzt durch Deutschland. Der Prophet verkündet keine frohe Botschaft. Weltmüdigkeit steht Michel Houellebecq ins Gesicht geschrieben, aber seine Gemeinde ist begeistert. „Er hat mein Leben erleuchtet“, schwärmt die Bibliothekarin Michelle Levy, ein ebenso gebildetes wie hingebungsvolles Groupie, das den Fan-Verein des Schriftstellers in Paris leitet. Das ist das erste, schwer erklärliche Paradox der größten literarischen Sensation Frankreichs seit Jahrzehnten: Wie kann einer zum Guru werden, der vor der Verführungskraft von Sekten warnt, Illusionen zerstören will, schwärzesten Pessimismus verbreitet und keine Möglichkeit der Erlösung sieht? Die „Elementarteilchen“, sein vor zwei Jahren erschienenes Sittengemälde der modernen westlichen Welt mit ihrer Aufösung aller moralischen Werte und menschlichen Bindungen, hat Houellebecq wohlhabend gemacht und berühmt, auch in Deutschland. Seitdem ist er ein Kultautor, ein Orakel, das unentwegt befragt wird, obwohl es sich gar nicht äußern mag. „Sartre hatte zu allem eine Meinung, ich nicht“, wehrt Houellebecq seine Jünger ab. Der Schriftsteller leidet: Jede Berührung mit der Außenwelt scheint ihn zu schmerzen. In einem Sessel zusammengekrümmt, blickt er mit traurigen braunen Augen in die Ferne, raucht eine Zigarette nach der anderen, mit skrupelloser Sorglosigkeit, so wie in zivilisierten Ländern nur noch Franzosen rauchen. Dazu trinkt er belgisches Bier. Bier ist das Einzige, was er an Belgien gut fndet. Stockend antwortet er auf die Fragen, die ihm gestellt werden, mit langen Pausen, in denen man nicht weiß, ob er nachdenkt oder weggetreten ist. Oft bringt er nicht die Energie auf, einen Satz zu Ende zu führen, trotz merklicher Anstrengung. Die Existenz als solche ist eine Bürde; es kostet Houellebecqs ganze Kraft, sich gegen die sanfte Verlockung der Schwermut zu wehren. Wie vermag dieses wortkarge Häufchen Elend ein Publikum zu fesseln? Mehr als die Hälfte des Jahres verbringt der Schriftsteller fern vom Pariser Literaturbetrieb in Irland. Die Insel eignet sich treffich dazu, sich in melancholischen Betrachtungen zu ergehen. „Ich genieße es, mich dort zu langweilen“, sagt Houellebecq, und vielleicht weiß nicht einmal er selbst, ob er es schelmisch oder ernst meint. Den Rest der Zeit operiert er als multimediale Einmannfrma. Gerade hat er einen erotischen Film für den PayTV-Sender Canal Plus gedreht, in dem nur weibliche Amateurdarsteller mitspielen, darunter seine Frau Marie-Pierre. Er will die Ruhe zeigen, das Glück, das Empfnden reinen Vergnügens, sagt er; dafür bevorzugt er lesbische Szenen, weil Männer sich nie ganz von Gewalt und Begierde lösen. Sex ist für Houellebecq ein vorzügliches Mittel, vielleicht das einzige, um Depressionen zu überwinden. In ganz schweren Fällen hilft auch das allerdings nicht mehr. Houellebecq, 42, spricht aus Erfahrung, er musste als junger Mann mehrmals in der Psychiatrie behandelt werden. Eine andere Möglichkeit, romantische Gefühle zu zeigen, ist für ihn die Poesie. Gedichte liest heute kaum noch jemand, deshalb hat er das Konzept des Pop-Poeten entwickelt: Houellebecq hat achtsilbige Verse vertonen lassen und singt sie eindringlich auf der Bühne, begleitet von einer Band, die eine Art psychedelischen Rock oder Soft Rap spielt. Daraus ist eine CD entstanden. Die Shows kommen gut an; nächste
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