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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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aufmerksam, als sähe sie ihr Gesicht zum ersten Mal.
    »Hast du nicht verstanden, dass es das ist, was auch Vater sieht? Und dass er dir deswegen all deine teuflischen Launen durchgehen lässt, während er mir beim kleinsten Ausrutscher eins mit dem Gürtel überzieht? Vater sieht nur dich … Und ich bin für ihn so gut wie unsichtbar …«
    Ein verlegenes Schweigen trat ein. Inzwischen war es dunkel geworden, und nur das Feuer erhellte den kleinen Raum. Ein rauer Laut stieg aus Marions Kehle auf. John ließ die Schultern sinken. Betreten ergriff der junge Mann von neuem das Wort.
    »Tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzen.«
    »Bist du eifersüchtig auf mich?«
    »Ja!«, brummte John in einer letzten Aufwallung von Bitterkeit. »Ich beneide dich um deinen Freimut, um die Leichtigkeit, mit der du deine Vorstellungen zum Ausdruck bringst und durchsetzt. Siehst du denn nicht, dass du alles bist, was ich nicht bin? Vater versteht das.«
    Er seufzte laut und stützte sich dann stöhnend auf den steinernen Kaminsims.
    »Ist dir das eigentlich klar? Ich bin der Erbe von Glenlyon, und man sagt mir, ich solle mir ein Beispiel an meiner kleinen Schwester nehmen! Das ist schon ziemlich demütigend!«
    Bestürzt betrachtete Marion ihren Rocksaum.
    »Und deswegen verabscheust du mich?«
    Ihr Bruder schenkte ihr einen schmerzerfüllten Blick und holte tief Luft, bevor er antwortete.

    »Ich nehme es dir nicht übel, Marion … Jedenfalls nicht wirklich. Du machst das schließlich nicht mit Absicht. Aber wenn Vater mich ins Gebet nimmt und mir dich als Beispiel vorhält… Also, ich schäme mich, es zu sagen, aber … ich habe mir oft gewünscht, du wärest nicht meine Schwester.«
    »Und dabei habe ich mich immer für eine Versagerin gehalten«, gestand sie mit unsicherer Stimme. »Am Ende habe ich es sogar richtig geglaubt. Papa schaut mich immer so traurig an. Ich sagte mir, dass ich ihn wohl enttäuscht hätte, dass er wahrscheinlich lieber noch einen Sohn gehabt hätte als ein hässliches Mädchen, das er großziehen und mit einer ordentlichen Mitgift versehen muss, damit sie eine gute Heirat abschließt. Deswegen habe ich mir so große Mühe gegeben, mich wie ein Junge zu benehmen. Ich dachte, dann würde er vielleicht vergessen …«
    »Was vergessen? Wenn Vater traurig ist, dann liegt es daran, dass du … ähem … Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten bist. Weißt du überhaupt, wie sehr er sie geliebt hat? Seit ihrem Tod lebt er nur noch für seine Erinnerungen und seine verfluchten Schulden!«
    »Ja … Seine Schulden. Aus diesem Grund hat Breadalbane mir ja eine Mitgift ausgesetzt.«
    »Er scheint es ziemlich eilig zu haben, dich zu verheiraten, findest du nicht? Wir wissen doch, zu welchen Intrigen er sich hergibt, um zu bekommen, was er will; und wir wissen ganz genau, dass er nichts umsonst tut.«
    »Er behauptet, es sei zu meinem Besten.«
    »Ja, ja … Dass ich nicht lache! Ich hoffe nur, dass er die Hochzeit nicht schon für kommende Woche festgesetzt hat!«
    »Er hat von März oder April gesprochen.«
    »Wir befinden uns mitten in einem Aufstand, und dieser alte Strolch hat nichts Besseres zu tun, als den Heiratsvermittler zu spielen! Außer vielleicht… Marion, du hast dich doch nicht mit diesem Strathmore kompromittiert, oder ?«
    »Also wirklich, John!«
    »Wieso drängt Breadalbane dich dann so zu dieser überstürzten Heirat?«
    Sie zuckte die Achseln, um ihm zu bedeuten, dass sie keine
Ahnung hatte. Den wahren Grund würde sie ihm auf keinen Fall verraten. Ohnehin würde diese Hochzeit nicht stattfinden, das hatte sie so beschlossen. Ihr Vater würde sicherlich die Folgen zu spüren bekommen, doch er würde Verständnis haben … Das hoffte sie zumindest.

    Eilig sattelte Marion eine kleine Stute. John war schon seit zwei Stunden fort und trug den kostbaren Umschlag in seinem Rock versteckt. In der Zwischenzeit hatte sie Vorsorge für ihre eigene Abreise getroffen, die bei Sonnenaufgang stattfinden sollte. Breadalbanes Methoden konnten ihr ebenso von Nutzen sein wie ihm; und mit Geld konnte man eben Wunder vollbringen. So war es ihr gelungen, ein Hausmädchen zu bestechen, Heather, die Zofe, die ihr zugeteilt gewesen war, seit sie hierhergekommen war, und die ihr geholfen hatte, ihre Krankheiten vorzutäuschen. Heather würde sich, in Marions Umhang gekleidet, nach Finlarig begeben und verlangen, den Schatzmeister zu sprechen. Da Letzterer das Dokument bereits besaß, und um bei der Eskorte kein

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