Lanze und Rose
brodelnden Coe folgte. Der Chief rief sie zusammen. Liam löste sich von mir, nahm seinen Dolch und schob ihn in die Scheide, die er am Gürtel trug. Er steckte auch seine Pistole ein.
»Ich muss dorthin, a ghràidh , meine Liebste. Du kannst auf mich warten, wenn du möchtest …«
Er lächelte schwach und küsste mich zärtlich. Auch nach zwanzig Jahren Ehe erregte es mich immer noch genau wie früher, seine Lippen auf den meinen zu spüren. Ich stützte mich gegen den Türrahmen und sah zu, wie er zusammen mit den anderen Männern nach Invercoe aufbrach, wo John MacIains Haus stand. Meine Magengrube zog sich schmerzhaft zusammen. Langsam schloss ich die Tür, lehnte mich von innen dagegen und stieß einen Seufzer der Verzweiflung aus.
Viel Wasser war das felsige Bett des Coe hinuntergeflossen, seit ich auf der kalten, verlassenen Heide von Glencoe Duncan zur Welt gebracht hatte, meinen »zweiten« ältesten Sohn, denn so nannte ich ihn bei mir. Mein erstes Kind hatte ich seit der Nacht, in der es geboren wurde, nie wieder gesehen. Ich hatte
meinen Sohn meinem Dienstherrn, Lord Dunning, dessen illegitimer Spross er war, überantwortet. So hatte ich gehofft, ihm wenigstens eine bessere Zukunft zu sichern. Doch seit dem Tod des Lords und seines Sohnes Winston, dessen Aufgabe es gewesen war, dafür zu sorgen, dass es ihm an nichts fehlte, hatte ich ihn nicht wiederfinden können. Mir waren nur verschwommene Erinnerungen geblieben: sein Duft, sein kleines, verschrumpeltes Gesichtchen, sein erster Schrei, den ich noch oft in meinen Träumen hörte … Er hatte eine Lücke hinterlassen, die ich nie wieder ganz hatte ausfüllen können, obwohl ich meine drei anderen Kinder über alles liebte.
Wirklich … seither war viel geschehen. Wir hatten die Dörfer Achnacone im Tal von Glean Leac und Invercoe am Ufer des Loch Leven wieder aufgebaut. Der Clan hatte die Anzahl seiner Mitglieder verdreifacht, und die Zahl der Männer im waffenfähigen Alter betrug jetzt wieder gut einhundert, beinahe so viele wie vor dem Massaker. Die Männer waren zu ihrer Betätigung von einst zurückgekehrt, nämlich Vieh zu stehlen, aufzuziehen und zu verkaufen. Wider Willen musste ich zugeben, dass sie sich ausgezeichnet darauf verstanden. Es hatte mir gar nicht gefallen, dass auch Liam sich ihnen angeschlossen hatte. Aber was konnte schon schlimmer sein als der Schmuggel? Ich musste mich damit abfinden. Dann war Duncan, als er alt genug war, um Waffen zu tragen, von seinem Vater in die Grundlagen der speziell dafür notwendigen Fertigkeiten eingeführt worden… weil sich das »von selbst verstand«. Der Viehdiebstahl war nun einmal die Bestimmung der Highlander, ihr Lebenssinn und ihre hauptsächliche Einkommensquelle. Ihr Überleben hing davon ab. Ich musste mich eben damit abfinden. Und nun war Ranald an der Reihe, die Geheimnisse dieses Berufs zu erlernen. Und wieder konnte ich nichts dagegen tun …
Aber damit, dass meine Söhne in den Krieg zogen, würde ich mich niemals abfinden, ob er nun gerecht war oder nicht. Der Aufstand war vorherzusehen gewesen. Seit Wilhelm von Oranien den Thron von England, Schottland und Irland bestiegen und James II. abgesetzt hatte, waren die Unzufriedenheit und die Spannung im Volk ständig gewachsen.
Alles hatte mit der unseligen Expedition nach Darién begonnen. Ihr Ziel war es gewesen, eine schottische Kolonie in Amerika zu gründen, genauer gesagt in Panama, auf der Halbinsel von Darién, die man auch Neukaledonien 5 nannte. Durch die Kriege, die England auf dem Kontinent geführt hatte, lag die schottische Wirtschaft am Boden. Die Gründung dieser Kolonie hatte dazu dienen sollen, ihr neuen Auftrieb zu geben, ähnlich wie die Ostindien-Kompanie das in England getan hatte.
Und so hatte im Jahre 1698 eine Flottille mit eintausendzweihundert Personen an Bord die Anker gelichtet und Kurs auf Mittelamerika genommen, ohne zu ahnen, dass sie geradewegs in die Katastrophe segelte. Fahnenflucht und Krankheiten schwächten die Kolonie. Dann wurde sie von den Spaniern aus Kolumbien bedroht, denen es gar nicht gefiel, dass diese Neuankömmlinge ihre Handelsbeziehungen störten. Nur eine Handvoll Kolonisten sollten je wieder den Fuß auf schottischen Boden setzen. Die ganze Affäre führte zu einem gewaltigen Skandal, der die Regierung ins Wanken brachte. Schottland verlangte von England eine Entschädigung, weil es die Kolonie im Stich gelassen hätte, und warf ihm vor, die Expedition absichtlich sabotiert
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