Lanze und Rose
wäre!
»Ich muss zurück, Duncan. Sonst dauert es nicht lange, bis mein Vater nach mir sucht, und wenn er uns hier findet…«
»Ja, schon gut«, brummte er, zupfte Strohhalme aus Elspeths seidigem Haar und dachte bei sich, dass er dann eben morgen
um ihre Hand anhalten würde. »Ich verspüre auch keine Lust, mir von deinem Vater eine Tracht Prügel abzuholen.«
Sie schenkte ihm ein treuherziges Lächeln, bei dem auf ihren rosigen Wangen zwei tiefe Grübchen auftauchten. Elspeth hatte etwas Besseres verdient. Vielleicht sollte er ihr ein oder zwei Bänder aus grüner Seide für ihr Haar oder ein Schmuckstück kaufen. Aber wieso hatte er eigentlich das eigenartige Gefühl, sich etwas vorzuwerfen zu haben? Das war lächerlich! Er hatte doch nur ein wenig geträumt … Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Er gelobte sich, sein kleines Problem so bald wie möglich zu lösen. Er musste diese Frau vergessen. Er nahm die Hand des Mädchens, das er als seine Verlobte betrachtete, zog sie an die Lippen und drückte einen Kuss darauf. Sie rückte näher an ihn heran und bot ihm ihren Mund, den er zärtlich in Besitz nahm.
»Ich liebe dich, Duncan.«
Er drückte sie fest an sein Herz, aber sein Hals war wie zugeschnürt, denn er war nicht in der Lage, ihr seine Liebe zu beteuern.
Der Alkohol versengte ihm Zunge und Kehle, doch er schenkte ihm auch ein angenehmes Gefühl von Wohlbehagen. Duncan reichte die Flasche mit Feuerwasser an Ranald weiter, der sich ebenfalls einen ordentlichen Schluck genehmigte. Die Brüder saßen nebeneinander auf dem Signal Rock. Die Nacht war ziemlich frisch, doch der Whisky wärmte sie und betäubte beider Schmerzen.
Vor ihnen erstreckte sich das Dorf Achnacone: kleine, mit Heidestroh gedeckte Hütten mit gekalkten Mauern und glaslosen Fenstern, vor die man einfach eine geölte Tierhaut hängte, so dass das Innere vor allem während des Winters in einem permanenten Halbdunkel lag. Die beiden Brüder hatten das Glück, in Carnoch zu leben, das weiter unten am Lauf des Coe-Flusses lag, in einem richtigen Haus mit verglasten Fenstern und einem Dach, das mit Tonpfannen aus Ballachulish gedeckt war. Ihr Vater, Liam Macdonald, war als Schmuggler zu Wohlstand gelangt. Seit einigen Jahren betätigte er sich zum großen Leidwesen ihrer Mutter wieder
als Viehdieb, ein Erwerb, den er seit dem furchtbaren Massaker im Tal von Glencoe, vier Jahre vor Duncans Geburt, aufgegeben hatte.
Duncan kannte alle schrecklichen Einzelheiten des Massakers. Er träumte sogar häufig bei Nacht davon, so als wollten die Geister derjenigen, die dabei gestorben waren, ihm von ihren Leiden berichten, insbesondere sein Halbbruder Coll und sein Großvater väterlicherseits, Duncan, deren beider Namen er trug. Es war ein merkwürdiger Gedanke, dass ihr Vater schon einmal mit einer anderen Frau als ihrer Mutter verheiratet gewesen war, und dass die beiden einen Sohn gehabt hatten. Seine Tante Sàra hatte ihm bei mehreren Gelegenheiten davon erzählt. Seiner Mutter dagegen schien das Thema eher unangenehm zu sein. Sie hatte ihm erklärt, dass sie häufig die Anwesenheit der beiden spüre, wie einen kalten Schauer, oder wie eine eisige Hand, die sie streife. Jedes Mal, wenn sie davon sprach, bekam sie Gänsehaut … Ihm selbst erging es nicht anders, denn auch er hatte schon diesen kühlen Hauch verspürt, der ihn umfing und ihm die Haare zu Berge stehen ließ. Ob es sich wirklich um verlorene Seelen handelte? Aber inzwischen gehörte all das zur Geschichte des Clans und der langen Linie der Macdonalds, die der große Somerled auf diesem rauen, wilden Land begründet hatte; diesem Land, das die Kinder des gälischen Volkes hervorgebracht hatte.
Ranald hielt ihm schweigend die Flasche hin und versetzte ihm einen leichten Rippenstoß. Duncan war gern mit ihm zusammen. Sicherlich, die beiden Brüder unterschieden sich sehr voneinander, doch auf gewisse Weise ergänzten sie sich auch wunderbar und wirkten manchmal wie zwei Möglichkeiten ein und derselben Person. Das war schon seit ihrer frühesten Kindheit so gewesen. Ranald besaß ein stürmisches, aufbrausendes Temperament. Er, Duncan, war zurückhaltender. Sein Bruder reizte ihn ständig, seine Grenzen auf die Probe zu stellen, während er selbst mäßigend auf ihn einwirkte. Duncan trank einen Schluck Whisky und streckte dann die Beine aus, die ihm taub zu werden begannen.
»Erzähl«, forderte Ranald ihn ohne Vorrede auf.
Duncan fuhr zusammen und wandte sich dann
Weitere Kostenlose Bücher