Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Und wenn die eigene Ehefrau das nicht möchte, wenn sie keine schicke Reizwäsche trägt und lieber im Dunkeln und unter der Bettdecke zur Tat schreitet, naja nun, dann brauchen sich die Frauen nicht zu wundern, wenn die Männer zwischendurch auch mal zu uns kommen. Ich hab da so ein geflügeltes Wort: Wenn manche Ehefrauen ein bißchen mehr Hure wären, dann würde es uns vielleicht gar nicht geben.
Klischee Nr. 38:
Prostituierte sind Opfer.
Dabei ist es eine lerntheoretische Binsenweisheit, daß sich Kompetenz aus Erfahrung ableitet. Vieles spricht dafür, daß Prostituierte nicht nur sexuell erfahrener sind, sondern auch gelernt haben, die Intim-kommunikation resoluter zu steuern als manch eine durch romantische Projektionen blockierte Monogamistin. Sexprofis sprechen häufiger über sexuelle Vorgänge als Normalfrauen, handeln die Modalitäten des Sexaktes aktiver aus als Privatpartnerinnen und sind weniger leicht emotional zu erpressen als Frauen, die Sex ausschließlich im Kontext einer Liebesbeziehung leben. Anders, als es das Klischee will, sind sie keine passiven Befehlsempfängerinnen, sondern aktive Sexpartnerinnen auf Zeit. »Niemand hatte mich je darauf vorbereitet, daß Sex eine Sache war, die man tat, eine Aktion, eine aktive Entscheidung«, so Phoebe Müller in ihrem Roman über sexuelle Bildungslücken zu Beginn ihrer Prostitutionstätigkeit. »Etwas, das mit Können und Taktik zu tun hatte. Sex war eine Sache, die geschah. So war es mir zumindest immer vorgekommen. Ich war schockiert, wie wenig ich wußte. Von der richtigen Technik beim manuellen Sex, von verschiedenen Oraltechniken, geschweige denn davon, wie man einen Mann ›anheizte‹.«101
Nicht zuletzt entlarvt die Opferrhetorik auch die Arroganz eines Mainstreams, der das monogame Beziehungsideal zum einzig gültigen Modell weiblicher Selbstverwirklichung erklärt. Dabei mangelt es weltweit nicht an Sexarbeiterinnen, die zu Protokoll geben, daß sie angesichts des guten Lebens in der Prostitution an einer klassischen Beziehung oder Ehe nicht die Spur interessiert sind.102 Indem der Mainstream alle anderen Formen weiblicher Lebensführung am Beziehungsideal (und nicht an dessen Realität) mißt, entwertet er nicht nur die Standpunkte und Erfahrungen der Sexarbeiterinnen. Er inflationiert und entweiht auch den für Monogamistinnen so lebenswichtigen Begriff der Liebe, indem er eine egozentrische Anspruchshaltung und hollywoodreife Träume von der Machbarkeit des Glücks schürt.
Wie lassen sich diese atmosphärischen Spannungen, das historische Erbe einer Doppelmoral, die wir oft gar nicht mehr als solche wahrnehmen, überwinden? Sexarbeiterinnen können »Normalfrauen«
nicht nur Tips , Tricks und Techniken mit auf den Weg geben, sondern auch ein Bewußtsein dafür, daß die Gleichschaltung von Liebe und Sexualität nur ein Modell sexueller Selbstbestimmung ist. Anstatt Männern die zweifelhaften Freuden sexueller Beschränkung anzutragen, könnten mehr Frauen das Treuegebot als das erkennen, was es in Zeiten expandierender kommerzieller Sexangebote ist: eine Option unter vielen, und für Frauen nicht selten ein psychologisches Verlustgeschäft. Solange Männer bereit sind, für Sex zu zahlen, und Frauen für Sex Beziehungswerte erwarten, könnte die Frage, wem die eigenen erotischen Ressourcen umsonst zur Verfügung gestellt werden, bewußter gegen die Alternativen abgewogen werden. Indem Sexarbeiterinnen ein Bewußtsein dafür vermitteln, daß guter Sex etwas wert ist, werfen sie auch die alte Frage nach gesellschaftlichen Übereinkünften neu auf. Wenn Sex nicht länger eine Beziehung oder Ehe nach sich zieht, Männer und Frauen sich aber nicht auf gegenseitigen erotischen Genuß als Selbstzweck verständigen können, was ist Sex dann wert?
Als Buchautorin und Callgirl Mona Gasser nach zwei Jahrzehnten aus der Sexarbeit ausstieg und einen Lebenspartner suchte, wartete auf sie dieselbe skurrile Odyssee durch den »Single -Markt«, die viele aus eigener Anschauung oder aus einschlägigen Komödien kennen.
Schnell wurde ihr bewußt, daß die Männer, die sie in Bars, Tanzcafes, Kasinos, Messen, Seminaren, Swingerclubs und Saunas oder durch Inserate kennenlernte, eigentlich dasselbe wollten wie ihre früheren Kunden, nämlich »unverfänglich und mit möglichst vielen Frauen vögeln«. Bis ins Detail erinnerte ihr Verhalten an das evolutionsbiologische Klischee vom Mann, der seinen Fortpflanzungserfolg durch Mehrfachbegattungen
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