Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Vorgang.«96 Schweigegeld und Gnadenbrot - im Grunde genommen war der Liebeslohn eine Art sozialer Kitt. Ohne sexuelle Tauschgeschäfte - da sind sich Prostitutionsforscher einig -
hätten sich die promisken Neigungen der Männer unter Bedingungen der Doppelmoral nur in noch mehr Vergewaltigungen, sexuellem Mißbrauch oder (zu diesem Zeitpunkt in Mitteleuropa historisch anachronistischen) Sklavereisystemen entladen können.97
Klischee Nr. 37:
Die sexuelle Doppelmoral existiert nicht mehr.
Das duale System der Geschlechterbeziehungen - hier die entsexualisierte Ehefrau, dort die Hure - erscheint uns heute antiquiert.
Entweder das eine oder das andere zu sein erinnert an die eindimensionale Logik des 19. Jahrhunderts. In einer Zeit, in der Frauen gleichzeitig Karrierefrauen, gute Hausfrauen und Mütter sein und dabei wie Top-Models aussehen sollen, haben festgefügte, lebenslange Identitäten ausgedient. Doch ein Blick in die Klatschspalten genügt, um zu erkennen, daß sich trotz einer Vielfalt weiblicher Rollenmodelle die Tentakel der Doppelmoral bis heute um unser Denken und Fühlen schlingen. Wenn Boris Becker seiten-springt, macht ihn das interessanter. Wenn Hera Lind außerehelichen Verlockungen erliegt, ist ihr Ruf in Gefahr. Die Souveränität, mit der ein Franz Beckenbauer oder ein Roberto Blanco ihre Seitensprünge gesellschaftlich überstanden, und die versteinerte, maskenhafte Attitüde der Haltung, die die Ehefrauen der Fremdgänger an den Tag legten, sprachen Bände.
Doch die Doppelmoral beschränkt sich nicht auf unterschiedliche Maßstäbe bei Treuebrüchen, sondern auch auf die gezielte, selbstbestimmte Vermarktung des eigenen Sex-Appeal. Wie das Beispiel der kurzen Kollaboration von Party-Girl und Moderatorin Ariane Sommer mit dem Nachrichtensender n-tv zeigt, läßt sich das Image einer sexuell starken Frau mit bürgerlichen Karrieremustern selbst nach der Jahrtausendwende (noch) nicht vereinbaren. Selbst in Zeiten, in denen Begriffe wie Tugend und Keuschheit durch Begriffshülsen wie Beziehungsfähigkeit und Treue abgelöst wurden, in denen Frauen wirtschaftlich unabhängig sind und autonom über ihre Familienplanung bestimmen, in denen Sexualität immer stärker individualisiert wird und Beziehungsverbindlichkeiten nicht mehr zu den gesellschaftlichen Übereinkünften gehören, wenn zwei Menschen Sex miteinander haben, gilt das ungeschriebene Gesetz, daß Männer ein Geschlecht besitzen, Frauen hingegen ihr Geschlecht sind.
Der gesellschaftliche Gewinn dieser Moral ist mehr als fraglic h, vor allem wenn man bedenkt, daß ihre psychosozialen Auswirkungen die Beziehungen zwischen Männern und Frauen schleichend vergiften. So wie Männer sich an Sex berauschen, berauschen sich Frauen häufig an einer unrealistischen und letztlich infantilen Verschmelzungsromantik.
So tendieren Frauen immer noch dazu, ihre unverwirklichten sexuellen Autonomie - und Expansionswünsche durch emotionale Bedürftigkeit, übersteigerte Sehnsüchte nach Nähe und permanenter Kommunikation zu kompensieren und, wenn diese ausbleiben, durch selbstgerechte Klagen und Vorwürfe einzufordern. Männern wird einerseits dieselbe sexuelle Selbstbeschränkung abverlangt, aber unklar bleibt, was sie für diese freiwillige Selbstkontrolle im Gegenzug erwarten dürfen: den Status eines Beziehungspartners, ein friedlich-harmonisches Beziehungsklima, guten Sex und ewige Liebe?
Man könnte also meinen, daß es eher die Frauen sind, die die autonome Seite ihrer Lust abspalten.
Der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz nennt diese Disposition den »Lilithkomplex« und bezeichnet seine psychosozialen Folgen als
»verheerend. Die allgemeinen Symptome ranken sich bei beiden Geschlechtern um die Identitätsschwäche als Frau oder Mann, mit allen Ängsten und Unsicherheiten in der Partnerschaft. Die Frau begibt sich freiwillig aus unbewußter Bedürftigkeit oder gezwun-genermaßen aus patriarchaler Vorherrschaft in eine untergeordnete und abhängige Position, aus der sie den Mann mit ihren unerfüllbaren Sehnsüchten und Wünschen quält und schließlich die Beziehung mit ihren Enttäuschungen und dem Haß terrorisiert und zerstört. Die unterdrückte Lilith in ihr macht sie unzufriedenbedürftig und läßt sie zickig-hexisch agieren, indem sie über Leiden, Klagen und Vorwurfshaltung Macht zu erlangen versucht.«98
Während sich gesellschaftliches Ansehen und promiske Sexaktivitäten für Männer selten ausschließen, prägt die
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