Lass Es Gut Sein
Deutschland
Satt-Sein
nicht mehr für alle selbstverständlich. Viele, zu viele müssen heute Abstriche am Lebensnotwendigen machen. Sie beutelt die pure Existenzangst.
Der Berliner Millionär, Immobilienhändler und Playboy Rolf Eden antwortete in der
Berliner Zeitung
am 27. August 2004 auf die Frage: »Leiden Sie unter der Steuerlast?« – »Überhaupt nicht, wer clever ist, braucht nur wenig zu zahlen. Da gibt es so viele Abschreibungsmöglichkeiten.« – Auf die Frage: »Haben Sie angesichts der armen Berliner ein schlechtes Gewissen?« »Die anderen müssten eins haben, weil sie mehr arbeiten sollten.« – Und auf die Frage, was das Schönste am Reichsein sei, antwortet er: »Dass man frei ist, total frei.«
|17| Ist Freiheit im Wesentlichen eine Frage des Geldes und gibt es nicht mehr für alle Freiheit und Brot, befindet sich der soziale Rechtsstaat der Bundesrepublik in einer Schieflage.
Freiheit muss Entfaltungsraum für jeden bieten; sonst ist sie nur Freiheit für die, die sie sich leisten können. Jeder will und soll seinen Platz in der Freiheit finden. Er
muss
ihn aber auch ausfüllen
können.
Die Freiheit braucht
Regeln
, damit sie nicht zu Selbstsucht
aller
oder zur Willkür
Einzelner
degeneriert. Gerade im Interessenkampf um die Güter des Lebens kommt es darauf an, sich an Regeln zu halten, an Verpflichtungen aller Einzelnen einer Gemeinschaft für das Gemeinwohl.
Unser Grundgesetz formuliert eine solche Regel auf überzeugende Weise. In Artikel 14, erster Absatz heißt es, das Eigentum werde gewährleistet. Damit wird Leistung anerkannt und Entfaltungsraum gelassen. Aber sodann folgt im zweiten Absatz: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« Das Wort »zugleich« verdeutlicht den Zusammenhang von Freiheit, Gerechtigkeit und Verantwortung, und an diesem »zugleich« muss sich unsere Gesellschaft messen lassen. Wird in der globalisierten Welt die Einheit von Freiheit und Gerechtigkeit nicht gewahrt, werden wir im
Terror der Ökonomie
untergehen. Dieser global entfesselte Terror wird noch schlimmere Auswirkungen haben als alle Terroristen zusammen, denn er wird noch weniger zu fassen sein, Reichtum und Armut weiter potenzieren und die Gesellschaften noch tiefer spalten.
Die Moral des Marktes
»Die Kaufleute haben unter sich eine allgemeine Regel. Das ist ihr Wahlspruch und die Grundlage aller Geschäfte. Sie sagen: Ich kann meine Ware so teuer verkaufen, wie ich es vermag. Sie halten das für ein Recht. Tatsächlich aber ist damit der Habsucht Raum gegeben, und der Hölle sind alle Türen und Fenster geöffnet.« (Martin Luther)
|18| Heute beherrschen uns nicht mehr die Politiker, es herrscht der globale Finanzmarkt. Durch seine Deregulierung können ganze Volkswirtschaften ruiniert werden, wie sich an dem im Prinzip reichen Land Argentinien sehen ließ. Die global operierenden Konzerne entmachten die lokale Politik. Der Markt reguliert lebenswichtige Austauschbeziehungen zwischen Menschen im unmittelbaren Lebensumkreis, in und zwischen den Staaten und schließlich in der Welt. Den Markt zu dämonisieren wäre aber ebenso falsch, wie ihn einfach zu sanktionieren. »Man kann nicht leugnen, daß Kaufen und Verkaufen ein notwendig Ding ist, das man nicht entbehren und wohl christlich brauchen kann, sonderlich in den Dingen, die zur Notdurft und in Ehren dienen«, schrieb Martin Luther. Wo allerdings die Not der einen den Gewinn der anderen steigert, dort werde unchristlich und unmenschlich gehandelt. Luther meinte, dass ein Greuel folgen müsse, wo als Recht gilt: »Ich mag meine Ware so teuer verkaufen, wie ich kann.«
Die herkömmlichen Marktgesetze kollidieren mit dem christlichen Menschenbild, weil sie auf dem Recht des Stärkeren und des Größeren aufbauen, also auf der Verdrängung des Erfolglosen und Schwächeren, auf der Durchsetzungsbereitschaft und -fähigkeit aller Beteiligten, auf dem materiellen Anreiz, verbunden mit (Verfügungs-)Macht und Kampf um Standortvorteile, Territorien und Ressourcen, sowohl für Einzelpersonen wie für Personengruppen und ganze Nationen. Der Markt fordert und schafft eine Durchsetzungskultur und einen Menschentyp, der bereit und fähig ist, sich durchzusetzen. Der Markt weckt und stärkt das Eigeninteresse und verleitet den Gewinner dazu, Macht über Unterlegene auszuüben, sowohl individuell als auch kollektiv, und zu expandieren. Dass Menschen, die sich auf dem Markt zu behaupten wissen, dennoch auch
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