Lass nur dein Herz entscheiden
würde ihr Fehlen also nicht auslösen.
Miriam hörte die nächste Nachricht ab. „Hallo, Miriam. Ich finde, wir haben einige Dinge zu besprechen. Noch länger werde ich diese Situation nicht hinnehmen. Obwohl du ja nicht auf demselben Planeten wie ich leben möchtest, schlage ich vor, dass wir uns zur Abwechslung einmal wie Erwachsene verhalten und nicht wie bockige Kinder. Falls du nicht zurückrufst, rufe ich wieder an.“
Mit zittrigen Beinen setzte Miriam sich auf ihr Sofa. Jay. Nur mühsam bekam sie ihre aufgewühlten Gefühle in den Griff und zwang sich, die Nachricht noch einmal abzuhören. Und diesmal registrierte sie seinen kalten, geschäftsmäßigen Ton. Jay war einige Male unerwartet aufgetaucht und hatte öfter angerufen, nachdem sie ihn verlassen hatte. Bis zu dem Tag im Frühjahr, als Miriam ihn tödlich beleidigt hatte. So eiskalt wie bei diesem Anruf hatte Jays Stimme allerdings noch nie geklungen.
Anscheinend muss ich die Scheidung doch nicht selbst einleiten, dachte Miriam schwach. Es sah ganz danach aus, als wollte er die Sache selbst ins Rollen bringen. Natürlich konnte sie sich irren. Bittere Erfahrungen waren der Beweis, dass sie keine Ahnung hatte, was in Jay Carter vorging.
Miriam stand auf, ging zur Küchenzeile und machte sich eine Tasse heiße Schokolade. Die brauchte sie, um ihre Nerven zu beruhigen. Erst dann wählte sie Jays Nummer.
„Hallo?“
„Hallo, Jay. Du wolltest mit mir sprechen?“
„Miriam?“
Er wusste doch ganz genau, dass sie am Apparat war. „Ja. Ich war aus“, erwiderte sie, jetzt kurz angebunden.
„Hattest du dein Telefon nicht mitgenommen, oder warst du zu … beschäftigt, um dich zu melden, als es geklingelt hat?“
So oder so, es ging ihn nichts an. „Du wolltest mit mir sprechen?“
„Wir müssen miteinander sprechen.“
Zwar sagte er es mit seidenweicher Stimme, aber auf eine provozierende Art und Weise. „Dann los“, forderte Miriam ihn kühl auf.
„O nein. Diesmal führen wir das Gespräch auf meine Art. Höflich, bei einem Drink und einem Essen. Wie es erwachsene Menschen tun.“
„Ach? Fällt das in denselben Bereich wie Ehebruch als anerkannter Zeitvertreib für ‚erwachsene‘ Männer und Frauen?“, fragte Miriam wütend.
Nach einer spannungsgeladenen Pause antwortete Jay: „Ich werde das ignorieren. Hast du morgen Abend Zeit?“
Ja, doch nicht um alles in der Welt hätte Miriam das zugegeben. „Leider nicht.“
„Okay, wir könnten jetzt stundenlang so weitermachen. Wann hast du Zeit, mit mir zu Abend zu essen?“
Natürlich war es lächerlich, weil er nur von Abendessen sprach, trotzdem brachte seine tiefe, wohlklingende Stimme ihr seelisches Gleichgewicht durcheinander. Aber war es wirklich nur das? Denn gleichzeitig breitete sich eine pulsierende Wärme in ihrem Innern aus. Wie war es nur möglich, dass sie Jay noch immer begehrte? Nach dem, was er getan hatte?
„Lass mich mal sehen …“ Miriam wartete, bis sie sicher war, ihre Stimme unter Kontrolle zu haben. Ein atemloses Gestammel kam einfach nicht infrage.
Heute war Dienstag. „Freitag?“, schlug sie so ruhig vor, wie sie es konnte. Dabei zitterte ihr Körper vor unterdrücktem Verlangen.
„Ja, Freitag passt mir gut.“
Gekränkt und verbittert bemerkte sie, dass Jay geradezu beleidigend entspannt klang. Er hatte offenbar keine Schwierigkeiten, seine Abende auszufüllen. Was nicht verwunderlich war. Frauen fanden Jay einfach unwiderstehlich.
„Dann also Freitag.“
„Ich hole dich um acht ab.“
Jetzt, da er seinen Willen durchgesetzt hatte, hörte sich Jay fast uninteressiert an. Das war typisch für ihn. Er war ein Alphamann, eine Führungspersönlichkeit, ein Jäger. Noch immer wusste Miriam nicht, wie sie so dumm hatte sein können, sich überhaupt auf ihn einzulassen.
„Wäre es nicht besser, wenn wir nur noch über unsere Anwälte miteinander verkehren? Ich meine, wir haben doch schon über alles gesprochen?“
„Vielleicht“, antwortete Jay kalt. „Ich hole dich um acht ab.“
Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Miriam hatte keine Kraft mehr, mit Jay zu streiten. „Du … du hast meine Adresse?“
„Ich weiß, wo du wohnst, Miriam.“
„Oh. In Ordnung.“
„Gute Nacht.“ Jay legte auf.
Das war’s. Ende. Er hatte erreicht, was er wollte. Also hielt er es nicht für nötig, das Gespräch zu verlängern. „Ich hasse dich!“, flüsterte Miriam.
Aber hasste sie ihn genug? Genug, um standhaft zu bleiben, wenn sie sich trafen?
Weitere Kostenlose Bücher