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Lass sie bluten

Lass sie bluten

Titel: Lass sie bluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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seines Vaters, das Gästezimmer, das Zimmer des Kindermädchens, das jetzt Fernsehzimmer war, das ehemalige Zimmer seines Bruders, das sein Vater zu einem Raum für seine Jagdtrophäen umfunktioniert hatte – und das ehemalige Zimmer seiner Schwester, das inzwischen als Wäschezimmer diente.
    Er sah sich selbst auf seinem Roller in voller Fahrt durch die vier größten Räume fahren, die hintereinanderlagen. Der Salon, das Esszimmer, das Herrenzimmer und die Bibliothek. Mit bestimmt dreißig Metern echten Teppichen: eine perfekte Rennbahn für einen Achtjährigen. Wenn das Kindermädchen da war, fuhr er ungebremst umher. Aber seine Mutter kam jedes Mal herein, wenn er gerade richtig Fahrt aufgenommen hatte, und bremste ihn. Nicht brüsk, aber bestimmt. Wie immer. Sie verlor nie die Kontrolle, wusste aber genau, was sie wollte.
    Überall hingen Cronhielm-af-Hakunge-Gemälde. Der Graf, die Geschwister des Grafen, der Vater seiner Mutter. Holzpaneele an den Wänden. Kronleuchter über den Tischen.
    Hägerström ging weiter, vorbei am Schlafzimmer seiner Eltern. Sein eigenes ehemaliges Zimmer wirkte nahezu unberührt. Sein altes dänisches Holzbett stand noch dort, hatte jedoch einen neuen Überwurf. Der Nachttisch und der schmale Schreibtisch mit dem Schreibtischstuhl ebenso. Seine drei Bilder hingen an exakt derselben Stelle, wo sie immer gehangen hatten. Er betrachtete das von Andy Warhol. Eine kolorierte Fotografie von Michael Jackson. Sie war im Jahr 1984 als Titelbild des
TIME -Magazine
ausgewählt worden. Hägerström hatte es im selben Jahr von seinem Vater geschenkt bekommen. Er wurde damals gerade zwölf, und The King of Pop war sein größtes Idol.
    An der anderen Wand hingen zwei Bilder von dem schwedischen Künstler der Jahrhundertwende J. A. G. Acke. Das eine stellte einen kräftig gebauten Mann dar, der aussah, als dehne er, mit dem linken Bein nach hinten gestreckt, seine Muskeln. Im Hintergrund war ein Wolf zu sehen. Der Oberkörper des Mannes war nackt, und seine Lenden waren mit einem Hüfttuch bedeckt. Das andere war ausgefallener. Es stellte das Meer dar, das dem Betrachter mit blauen Wellen entgegenschlug. Auf einem Felsen mitten im Wasser standen drei nackte Männer. Blass, jung, schmal gebaut, aber dennoch athletisch. Sie bedeckten ihre Scham nicht.
    Hägerström hatte sich die beiden Bilder aus der Kunstsammlung seines Vater ausgesucht, als er achtzehn wurde. Er stand still da. Betrachtete die Männer auf dem Felsen. Ihre weißen sehnigen Körper. Ihr kurz geschnittenes Haar, das im Wind wehte. Die Schaumkronen auf den Wellen. Die Schwänze der Männer, die unkeusch herunterhingen.
    Vielleicht posierten sie nur, zeigten ihre nackten Körper und genossen es, angeschaut zu werden. Hägerström erwachte aus seiner Starre. Hörte Pravats Stimme hinter sich. »Papa, willst du nicht mit uns futtern?«
    Er schaute zu Pravat hinunter. Der Junge sah ebenfalls zu den Bildern hoch.
    Hägerström nahm ihn an der Hand und verließ das Zimmer.
    Seine Mutter hatte nicht im Esszimmer, sondern in der Küche gedeckt, was er für ein gesundes Zeichen hielt. Wenn Martin und Pravat zu Besuch kamen, sollte es familiär zugehen.
    Sie sagte: »Pravat, das heißt nicht futtern. Das heißt essen.«
    Pravat lachte. »Ich liebe deine Stullen, Oma.«
    Lottie sagte: »Das heißt nicht Stulle. Das heißt Butterbrot.«
     
    Hägerström fuhr in der Anstalt dieselbe Schiene weiter. Bearbeitete den Born-to-be-Hated-Präsidenten. Gab sich freundlich. Zugänglich. Offen. Schmeichelte ihm hoch tausend. Wiederholte die allseits verbreitete positive Haltung ihm gegenüber.
    Und zugleich: Hägerström fuhr damit fort, das negative Gerede anzudeuten, das hier über ihn kursierte. Dass andere Insassen ihre eigenen Ansichten über ihn hatten, ihn in negativen Zusammenhängen erwähnten, auf ihn herabsahen.
    In anderen Gesprächen: Hägerström redete mit dem Werewolf-Legion-Typen und anderen Insassen der Abteilung, von denen er wusste, dass sie JW nahestanden – verbreitete die Botschaft. JW mochte Abdi Husseini nicht. JW hatte eine schlechte Meinung von Omar. JW redete Scheiße über den BTBH -Präsidenten.
    Außerdem: Hägerström sorgte dafür, dass Esmeralda das Handy in Beschlag nahm, das JW unter dem Kopfkissen vom Rohr versteckte. Er bat einen weiteren Aufseher, gewisse Unterlagen zu vernichten, die JW in der Zelle von Narren-Tim verwahrte. Alles, um auch ihn vor einer weiteren Annäherung weichzuklopfen.
    Hägerström

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