Lasse
hatte sie Respekt.
Die beiden unterhielten sich kurz, Gerion war höflich, Nora entschuldigte sich für das angetrunkene Sektglas und ich versuchte herauszufinden, ob Gerion sie mochte. Sein Geschmack bei Frauen war unberechenbar. Dann ging Nora.
Ich schnappte mir geistesgegenwärtig ein neues Sektglas von einem der herumsegelnden Tabletts und reichte es Gerion. Er schob mir einen der Teller herüber und wir aßen und tranken schweigend. Wir konnten das. Nicht nur, weil wir Jungs waren. Wir kannten uns gut genug, wir mussten keinen Smalltalk machen. Und ich erkannte auch so, dass die Party ihm auf die Nerven ging. Es waren zu viele Leute da, die nach Aufmerksamkeit heischten und wild herum flirteten, mich nicht ausgenommen. Er sah kurz auf.
»Was war das mit Ole?«
»Keine Ahnung, ich habe vorhin erst davon gehört.«
Er nickte langsam. Er und Ole hatten ein schwieriges Verhältnis. Gerion fand, Ole sollte endlich erwachsen werden. Ole fand, Gerion wäre ein Moralprediger geworden und würde mich zu stark beeinflussen, denn Ole wollte Spaß haben, sich keine Gedanken machen und das Leben genießen. Und natürlich wollten mich beide von ihrer Einstellung überzeugen. Doch in mir gab es das deutliche Gefühl, dass ich auf keine der beiden Seiten gehörte, sondern auf einen eigenen Platz, den ich nur noch nicht gefunden hatte. Genauso wenig wie das richtige Mädchen.
Eine Frau mit einem kurzen Kleid und schönen Beinen ging vorbei. Sie lächelte kurz und ich war mir nicht sicher, ob wir uns kannten. Mit Ole hätte ich über sie reden können, den Po, die Brüste, die Lippen, aber vor Gerion tat ich so, als ob ich das alles nicht bemerkte. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, dass ich ihn überredet hatte, mitzukommen. Was sollte man sonst hier machen?
Ich schielte durch eine weit geöffnete Verbindungstür in den nächsten Raum. Wurde dort vielleicht getanzt? Das könnte die Sache hier retten.
Eine junge Kellnerin kam mit einem Tablett und räumte die leeren Gläser darauf. Ich schob ihr meinen halbvollen Teller hin, ich hatte keinen Appetit mehr. Sie zögerte, sah mich fragend an und ich schüttelte den Kopf. Wir lächelten uns kurz an und sie wurde rot.
»Lasse? Ich denke, ich gehe jetzt.«
Gerion musterte das Mädchen, das abräumte, kritisch. Sie wurde noch verlegener und ging schnell. War das schon zu viel? Ein kleiner Flirt? Man musste doch nicht sofort heiraten, wenn man nett zu einem Mädchen war, oder?
»Schon?«
»Ich muss echt früh raus und ich habe mir den Text noch nicht angesehen.«
»Willst du das jetzt machen?«
»Wann sonst? Morgen um fünf?«
»Hej, wir haben uns gerade getroffen ...«
»Ich bin demnächst wieder in Hamburg.«
Ich wusste, dass er sich nie wohl auf solchen Partys fühlte. Trotzdem. Es war irrational, aber ich wollte nicht, dass er mich allein ließ.
»Okay, dann gehe ich auch.«
»Quatsch. Amüsier' dich.«
Er nickte mir aufmunternd zu und lächelte. Vielleicht verstanden wir uns auch gar nicht schweigend, sondern hatten uns auseinander gelebt. Wie ein altes Ehepaar. Er spielte die anspruchsvollen Rollen und ich taumelte beziehungslos durch die Gegend und spielte entweder den smarten Liebhaber oder den introvertierten Jungen. Was hatten wir noch miteinander zu tun?
4 Es gab eine Art Bar , hinter der zwei Kellner standen und Getränke ausschenkten und als Gerion gegangen war, steuerte ich direkt darauf zu. Warum sollte ich mich nicht betrinken, zumindest so viel, dass ich Spaß hatte? Der Joint fiel mir wieder ein, der vermutlich gerade in meiner Hosentasche zerbröselte. Allerdings sollte ich mich entscheiden. Beide Drogen zu mischen hatte noch nie gut geklappt. Ich dachte wieder an unsere Urlaube in Schweden. Als Kind waren wir oft zu meinen Großeltern und den Verwandten dort gefahren, aber erst als ich älter war, weihten mich meine Cousins in die Sitten des Landes ein. Kiffen war dort absolut verpönt, wenn man erwischt wurde, gab es harte Strafen. Im Grunde war es mit Alkohol das Gleiche, man konnte ihn nur in bestimmtem Läden, den Systembolaget , kaufen und natürlich durften das nur Erwachsene. Was meine Cousins nicht davon abhielt, sich ins Koma zu saufen oder irgendeine Art von Ersatzalkohol zu brauen, der nach Spiritus schmeckte und den ich nicht anrührte, weil man ganz sicher blind davon wurde. Ich fand, etwas zu kiffen war dagegen harmlos, aber da waren sie ganz anderer Meinung und reagierten fast hysterisch, als ich ihnen den ersten Joint
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