Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Brustentzündung zu Hause sitzt – so etwas erdet. Und da helfen wir Hebammen dann weiter.
Die Frauen hier in der Ecke, die sind gut ausgebildet, sehr gut informiert, viele kriegen relativ spät ihr erstes Kind. Die bringen von ihren Krankenkassen eine ellenlange Checkliste, auf der sie schwarz auf weiß nachlesen können, was alles schiefgehen könnte. Die gehen wir mit ihnen durch, das macht ihnen natürlich Angst, und deshalb soll die Hebamme des einzigen Kindchens aber dann bitte auch hoch professionell sein. Mit diesem Druck mussten wir im Geburtshaus auch erst einmal umgehen lernen. Inzwischen haben wir hier eigentlich alles im Angebot, was die Frauen sich zusätzlich wünschen könnten: Akupunktur, traditionelle Chinesische Medizin, Schwangerenyoga, Ernährungsberatung, fremdsprachige Hebammen. Das sind so unsere Nischen, die unterscheiden uns von den Geburtskliniken.
Ich sehe zu, dass nach der Geburt auch wieder die professionelle Distanz einzieht zwischen den Frauen und mir. Das fängt damit an, dass ich und meine Kolleginnen hier im Geburtshaus die Paare beim Infoabend erst einmal siezen. Erst später, wenn wir sie durch die Schwangerschaft und Geburt begleiten, wenn man körperlich wird, duzen wir uns, das kommt ja dann ganz selbstverständlich. Nach der Entbindung, am Ende der Wochenbettnachsorge, signalisiere ich ihnen: »Dann und dann ist mein letzter Besuch bei dir.« Da machen wir die ganze Dokumentation fertig, halten noch ein Schwätzchen, und dann war’s das mit uns beiden. Vielleicht bis zur nächsten Schwangerschaft.
Anders ginge es auch gar nicht. Das ist schon ziemlich happig mit der Dauerrufbereitschaft. Immer ist mein Handy an, ich kann Tag und Nacht von den Frauen angerufen werden. Sich mal einen antrinken, spontan übers Wochenende wegfahren, mit der Familie oder Freunden feste Verabredungen treffen – das geht in meinem Job nicht. Zigmal bin ich schon zu Hause vom Essenstisch losgedüst, zigmal im dunklen Kino über die Sitzreihen nach draußen geklettert, zigmal habe ich Freundinnen versetzt, weil eine Frau ihr Kindchen bekommen hat. Und doch – ich kann mich davon nicht trennen, so ist mein Beruf.
Seit wir aus China zurückgekommen sind, mache ich einmal im Jahr drei Monate ohne Rufbereitschaft, das habe ich mir fest vorgenommen. Bald ist es wieder so weit, ich freue mich schon darauf, wenn das Ding hier einfach mal ausbleibt. Ich bin jetzt vierundvierzig und fange an, auch nach mir selber zu gucken. Ich sehe, es gibt Kolleginnen, die sind ganz dicht am Burnout: Heb ammen müssen immer gute Stimmung machen, für je des Problem eine Lösung finden – das schlaucht. Wichtig ist in unserem Job vor allem die permanente Empathie für die Frau und ihre Probleme, aber wir Hebammen sind auch Persönlichkeiten mit eigenen Leben. Es gibt unter uns ganz Weiche und eher Coole – all das muss wiederum mit den Bedürfnissen der Schwangeren zusammenpassen. Und genau da muss jede von uns aufpassen, dass sie sich gegen Überforderung schützt, dass sie sich gut fühlen kann bei ihrer Arbeit.
Wichtig ist, gerade in so kinderreichen Gegenden, der Ruf einer Hebamme. Es gibt ja welche, die sind angesagt, das läuft über Mundpropaganda, und man wird dann in Freundes- und Bekanntenkreisen regelrecht rumgereicht. Geburt ist halt ein sensibles Thema, manche Frauen haben in Kliniken schlechte Erfahrungen gemacht, sie haben Einsamkeit erlebt, Angst, Schmerz, manche möchten solche Erlebnisse im Geburtshaus heilen. Und das bieten wir zusätzlich zu unserem geburtshilflichen Können: persönliche Zuwendung, Aufgefangensein, vor allem Zeit. Zeit ist das Wichtigste. Die allermeisten sind mit unserer Arbeit sehr zufrieden, das wissen wir aus den Befragungen, die wir gemacht haben. Klar gibt es da auch mal ein, zwei Unzufriedene drunter, das sind eher Frauen, die wir unter der Geburt doch ins Krankenhaus verlegen lassen mussten, so etwas kann traumatisch sein. Mit ihnen führen wir dann Nachgespräche, oder wir vermitteln ihnen eine gute psychologische Betreuung.
Die Eltern von heute unterscheiden sich von denen vor, sagen wir mal, gut zwanzig Jahren. Frauen, die Anfang der Neunzigerjahre bei uns entbunden haben, die haben damit echt Mut bewiesen. Ein Geburtshaus, so etwas gab es bis dahin gar nicht, das Ganze war also eine moderne Situation, ein Wagnis, das sie eingegangen sind, um selbstbestimmt außerhalb der Kliniken zu entbinden. Viele dieser Frauen wurden sehr ernsthaft von ihren Müttern gewarnt, das
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