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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Autoren: Anja Maier
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zusätzlich, der Fußsack für kalte Tage 93, der Sonnenschirm 37 Euro. Das Suncover genannte Moskitonetz für 51 Euro sparen wir uns mal, und den Latte-macchiato-Halter für 15 Euro wünschen wir uns zum Geburtstag. Aber dass auch eine Luftpumpe für 11 Euro angeboten wird, macht stutzig – ist es etwa möglich, dass ich bei Anschaffungskosten von 1000 Euro einen Platten riskiere?
    Eine andere Frage, die sich stellt, ist: Was kann das Teil Besonderes, das diesen Preis rechtfertigt? Ich studiere eingehend die Produktbeschreibung. Aha, der Urban Jungle kann sowohl als Babykutsche als auch als Kinderkarre verwendet werden. Normal. Außerdem? Die Babywanne lässt sich als Reisebett nutzen. Mit Verlaub, aber das regeln Eltern von Neugeborenen seit hundert Jahren so, und zwar auch mit preiswerteren Modellen. Die Abdeckung ist abnehmbar? Wow! Und die Wanne kann ganz einfach ins Gestell eingeklipst werden? Aber hallo! Es gibt den Urban Jungle in verschiedenen Farben? Gute Idee. Aber letztlich steht und rollt der Wagen ja doch wieder in Schwarz, Anthrazit, bestenfalls noch in Olivgrün durch die City. Pures Understatement, ratenfinanziert. Wer kann sich so etwas leisten?
    Die Preise, die Hightechsprache, das Design – alles lässt darauf schließen, dass die solventen Eltern die Anschaffung eines Kinderwagens heute nicht als Vergnügen, sondern eher als Investition in ein ganz persönliches Projekt ansehen. Als ein Unternehmen, das ihnen dringend gelingen muss und das sie mit gutem Design zu beschwören versuchen. Dieser Erfolgsdruck, der sich in teuren Ausstattungsgegenständen ausdrückt, die die NASA entwickelt zu haben scheint, mag wiederum daran liegen, dass Kinderkriegen zwar gesellschaftlich gewollt wird und Mutterschaft – in Deutschland zumal – als sozialer Fetisch gilt. Andererseits aber ist Familiengründung noch immer im Konkreten ein logistisches Kamikazeunternehmen.
    Reden wir hier nicht von Übermüdung und fehlendem Sex nach der Geburt. Nein, reden wir von den Bedingungen. Wer die Frauen sieht, die im dritten Schwangerschaftsmonat von Kita zu Kita ziehen müssen, um sich dort casten zu lassen, wer die überfüllten Spielplätze kennt, das Fehlen der Omas und Opas im Straßenbild, die Unwilligkeit von Unternehmen, Mütter einzustellen, der weiß: Es bleibt schwierig. Und damit es nicht so schwierig aussieht, wie es ist, möbeln die Eltern wenigstens das Gesamtbild auf.
    Dass die Fassade stimmen muss, war natürlich schon immer so. Als ich einst unter den etwas beengten volkswirtschaftlichen Bedingungen der Deutschen Demokratischen Republik nach einem Wagen für mein bald zu gebärendes Kind Ausschau hielt, war auch das eine Entscheidung von größter Wichtigkeit. Es gab damals ganz grauenhafte riesige Kinderwagen, die heute auf dem Vintage-Markt vermutlich sensationelle Preise erzielen. Außen waren sie entweder mit einer Art Sofastoff oder mit Gummi bezogen, manche verfügten auch über Guckfenster an den Seiten oder Bordüren mit Troddeln am Verdeck. Mochte ich nicht, so etwas sollten mal schön die Muttis kaufen – ich war eine Schwangere mit Geschmack. Und tatsächlich, ganz kurz vor der Geburt fand ich gebraucht einen dunkelroten Wagen mit weißem Gestänge ohne jeden Schnickschnack. Da hinein legte ich das Kind und schaukelte es durch Ostberlin. Okay, der Wagen war nicht schwarz und das Gestänge kein Aluminium – aber ja, so wie den Eltern von heute war es mir schon damals sehr wichtig, dass die Gesamterscheinung stimmte. Und es war mir dann schließlich auch ganz egal, dass meine kluge Mutter mal wieder recht behalten hatte: Schwarze Kinderwagen würde es nie geben. Jedenfalls noch nicht.

Es gibt keine Kevins mehr oder
Die Kinderärztin
    Mittagspause in der Praxis. Die Kinderärztin zeigt mir die frisch renovierten Behandlungszimmer. Durch eine ausgeklügelte Raumaufteilung ist es jetzt möglich, zwischen den Räumen zu pendeln, ohne jedes Mal durchs Wartezimmer zu müssen, wo die ungeduldigen Eltern mit den kranken Kindern warten. Eine Stunde Zeit hat sie für unser Gespräch. Dann los!
    Ich habe jetzt genau zwanzig Jahre meine Kinderarztpraxis hier in Prenzlauer Berg. Ihre Tochter war ja auch mal meine Patientin, ich kann mich aber ehrlich gesagt nicht erinnern. Wenn ich Sie hier vor mir sitzen sehe, denke ich an ein kleines Mädchen, das ein bisschen zu dünn war und überhaupt nicht gern zum Arzt ging, nicht wahr? Ja, meine Schreibtischschublade mit den Belohnungs-Gummibärchen ist immer
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