Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Kindchen nicht einer solchen Gefahr auszusetzen, sie sollten doch besser ins Krankenhaus gehen zum Entbinden. Wir waren hier im Prenzlauer Berg ein Haufen sehr aktiver Leute. Die Familien von damals haben viel bewegt: Kitas gegründet und Schulen. Nach so was, nach Selbstbestimmtheit, moderner Erziehung, hatten wir alle eine große Sehnsucht.
Von dieser Zeit, dieser Dynamik profitieren die Familien hier bis heute. Es ist alles da an Strukturen, mehr, als man wirklich braucht und in Anspruch nehmen kann. In jeder Straße gibt es jetzt eine Hebammenpraxis, überall werden die Frauen umworben: hier ein bisschen Pekip, da ein Pilateskurs, vielleicht noch Massage, Babyschwimmen oder Erste Hilfe fürs Kind … Diese Konkurrenz erzeugt auch Druck bei den Frauen: Wie schaffe ich das bloß mit dem Baby, wie mache ich alles richtig? Wenn ich meine Hausbesuche mache, sehe ich einen unbedingten Anspruch, perfekt zu sein. Ich komme in perfekt eingerichtete Wohnungen, in denen perfekte Beziehungen geführt werden. Aber natürlich weiß ich, es ist immer problematisch, wenn ein Kindchen dazukommt. Anstrengend, schlafraubend, das volle Programm, ist doch ganz klar. Da haben die frisch gebackenen Eltern schnell mal das Gefühl, überfordert zu sein.
Oh Moment, mein Telefon klingelt, da muss ich ran. Ja? Aha, aha, ja, ich verstehe … Dann schau jetzt erst mal, was die Wehen machen. Lass dir eine Wanne ein und guck mal, was die Wärme macht, und dann rufst du mich vielleicht noch mal an. … Na klar, ist ja klar, wenn die Geburt jetzt losgeht. … Was? Nein. Nein, keine Termine mehr machen, ruf deinen Mann an, das geht jetzt los. Tschüss, du, bis später. Ja, ich komme dann, na klar. Tschüss!
Also das war jetzt typisch. Eine ganz nette Frau, da werden wir heute Nacht bestimmt noch das Kindchen kriegen. Und sie? Fragt, ob sie ihren Sohn jetzt noch zur Musikschule bringen kann. Als gebe es nichts Wichtigeres im Moment! Wo waren wir?
Ach, weißt du, letztlich ist Hebamme für mich immer noch der tollste Beruf der Welt. Ich gehe mit den Familien in dieser Zeit wie in eine Blase, es wird ein süßes Baby geboren, die Frau ist dann eine Mutter, der Mann ein Vater geworden, eine unglaubliche Zeit! Und am Ende darf ich da auch wieder rausgehen. Das ist auch schön. Diese Arbeit ist so vielfältig und überraschend. Früher gab es nicht weit entfernt von hier eine Wagenburg, da haben wir manchmal kostenlos beraten und geholfen. Dort habe ich mal eine Geburt erlebt, wo die Frau ganz frei, ganz easy im Bauwagen entbunden hat, neben sich den Hund im Bett. Frauen haben auch schon im Wald entbunden. Oder die lesbischen Paare, bei denen eine der Frauen per Samenspende schwanger geworden ist – da gibt es dann zwei glückliche Mütter und einen glücklichen Vater. Solche Erlebnisse machen mich froh, das wäre doch früher in der DDR nie möglich gewesen. Darüber freue ich mich als Ossi immer, immer wieder.
Inzwischen gilt der Prenzlauer Berg als super hip, der Bezirk ist angesagt bei Eltern, er ist schnell und international, die verschiedenen Lebensentwürfe treiben hier bunte Blüten. Aber natürlich, letztlich kochen alle nur mit Wasser, ich sehe das ja bei den Familien zu Hause. Wobei – schön wäre, wenn die Mütter hier wenigstens kochen könnten. Viele von denen haben das einfach verlernt: Eine einfache, gesunde Mahlzeit für sich und ihr Kind kochen, das können sie nicht. Am Herd zu stehen ist nicht hip, das zögern die Frauen lange hinaus. Ist ja auch ganz einfach, hier kriegst du an jeder Ecke preiswertes Essen. In China isst man dreimal am Tag etwas Gekochtes, wenn ich hier in Berlin durch die Straßen gehe, sehe ich die Mütter mit ihrem Salatgestocher – als wäre es verboten, nach einer Schwangerschaft ein paar Kilo mehr draufzuhaben. Da ist er wieder, der Hang zur Perfektion.
Sie muss jetzt los. Die Frau mit den Wehen, der Wanne und dem Musikschulkind wartet. Und spät in der Nacht wird die Hebamme wohl wieder einem der vielen, vielen Kindchen hier den Weg in den Prenzlauer Berg gebahnt haben.
N achtschwarze Kinderwagen oder
D epressive Armada im Hochpreissegment
A ls ich ein junges Mädchen war, das aufgrund neu hinzugetretener körperlicher Funktionen feststellen musste, dass es nun von Mutter Natur tatsächlich in die Lage versetzt worden war, Kinder auszutragen, gingen mir vor allem stilistische Fragen durch den Kopf. Die Idee, dass Kinderkriegen etwas mit einem Baby zu tun haben könnte, um das ich mich dann Tag
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