Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Vorankündigung das Zeitkontinuum komplett um, alles musste plötzlich ganz schnell gehen. Nach dreißig Stunden Wehen wurde meine Tochter in einem Gewaltmarsch von zwanzig Minuten geholt. »Geboren« würde ich das wirklich nicht nennen, was sich da unter Geschrei in einem Ostberliner Krankenhaus vollzog.
Heute ist das Gott sei Dank anders. Die Hebammen hier verfügen über reichlich Zeit für Männer, Frauen und Kinder. Sie zeigen den neugierigen Elternaspiranten die Geburtszimmer, in denen es terrakottafarben und kiefernholzig zugeht und wo nur das CTG -Gerät auf dem Nachttisch stumm davon kündet, dass es in diesen Räumen Tag für Tag mächtig zur Sache geht. Nur ganz leise wehen mich meine eigenen Erinnerungen an diese Nacht im Mai noch an. Tausendmal besser war das als in der Ostberliner Kachelfabrik. Aber machen wir uns nichts vor: Ein Kind zu gebären ist, wie eine Kokosnuss zu kacken. Mein süßes Verdrängen ist umso erstaunlicher, als ich in den ersten Jahren nach der Geburt bei diesem Thema heulend in Schnappatmung verfallen bin – selbst dann noch, wenn ich im Fernsehen eine Schauspielerin sah, die sichtlich aus rein dramaturgischen Gründen nur so tat, als gebäre sie. Wie gesagt, das Vergessen hat Mutter Natur klug eingefädelt.
Eine erstgebärende Interessentin schaut nun versonnen auf die blank gewienerte Geburtsbadewanne. Man sieht: Sie hat sich schon entschieden, sie will ihr Kind genau hier zur Welt bringen. Da wäre nur eine Kleinigkeit: »Ich möchte meine Mama, meine Schwester und meine Schwiegermutter mitbringen. Ach so, und ihn hier natürlich auch«, sagt sie und deutet auf ihren sehr sympathisch aussehenden Mann. »Geht das? Also so was wie ’ne Geburtsparty?« Die Antwort ist relativ naheliegend. Das Zimmer hat schätzungsweise vierzig Quadratmeter inklusive Toilette, Wanne, Doppelbett und dem guten alten Pezzi-Ball. Würden hier sechs Leute herumschwirren, gäbe das ein nicht nur logistisches, sondern garantiert auch ein gruppendynamisches Fiasko. Aber die Hebamme nickt und sagt begütigend: »Darüber können wir ja noch mal reden.« Und ich denke: Party? Was für ’ne Party? Das hier, Schätzchen, wird ein Marathonlauf. Und du wirst verdammt froh sein, wenn du endlich das Ziel erreicht hast und die Kokosnuss auf der Welt ist.
In Rufbereitschaft oder
Die angesagte Hebamme
Letzten Sommer ist sie wiedergekommen. Zurück nach Deutschland, zurück nach Berlin. Die Hebamme war mit Mann und Kindern drei Jahre lang in China, ihr Mann hat dort gearbeitet. Sie hat sich in Akupunktur und Traditioneller Chinesischer Medizin ausbilden lassen. Jetzt sitzt sie in einem dieser sauber duftenden Zimmer des Geburtshauses und erzählt von sich. Davon, was sich hier verändert hat und wie die Mütter und Väter versuchen, alles perfekt hinzukriegen. Dabei, das weiß sie genau, funktioniert das nicht, wenn ein Kind geboren ist. Kann es nicht und soll es nicht.
Ich bin schon ewig Hebamme, vor fünfundzwanzig Jahren habe ich meine Ausbildung beendet an der Berliner Charité, da war ich gerade volljährig, wahnsinnig jung eigentlich. Bis 1990 habe ich in einem Krankenhaus am Stadtrand gearbeitet, dann, gleich nach dem Mauerfall, bin ich als Entwicklungshelferin in den Jemen gegangen. Das war eine ganz tolle Zeit. 1994 bin ich beim allerersten Ostberliner Geburtshaus eingestiegen, du hast ja auch hier entbunden, nicht wahr? Damals habe ich quasi mein Privatleben zugunsten des Berufs aufgegeben. Wenn ich samstags über den Kollwitzplatz gegangen bin, musste ich erst mal zehn Gespräche führen, bis ich die andere Platzseite erreicht hatte. Überall Frauen, die bei mir ihre Kindchen bekommen haben. Meinen Mann hat das manchmal genervt, ich fand’s aber toll. So wollte ich immer arbeiten: mitten unter den Familien. Mit der Arbeit im Geburtshaus war das endlich so.
Was sich in den letzten Jahren verändert hat, ist die Haltung der Schwangeren. Sie möchten gern ein Rundum-sorglos-Paket buchen, sind sehr serviceorientiert. Das wundert mich nicht. Mutter werden, Mutter sein war in Deutschland schon immer eine aufgeladene Angelegenheit, in den letzten Jahren ist das nach meiner Beobachtung noch mehr geworden. Und hier im Prenzlauer Berg bilden Mütter, Eltern überhaupt, eine riesige Gruppe. Das macht stark und sehr selbstbewusst. Aber Mutter zu sein ist ja in der Realität nur für kurze Zeit etwas Besonderes, der Alltag holt dich sehr schnell wieder ein. Wenn du mit deinem Schreibaby oder einer
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