Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
schiefgeht? Das würdest du dir nie verzeihen.« Nun, da hatte sie, Mutter von drei Kindern, wohl recht. Aber meine erste Geburt unter realsozialistischen Bedingungen in einer Ostberliner Klinikfabrik war derart traumatisierend verlaufen, dass ich unter den neuen, auch körperpolitisch befreiten Gegebenheiten fest entschlossen war, das Kind diesmal auf meine Weise zur Welt zu bringen.
Der Vater und ich absolvierten brav den Vorbereitungskurs, bei dem zwanzig Erwachsene auf Sisalmatten lagerten, Männer wie Frauen gemeinsam Atemtechniken erlernten und die schwangeren Väter angehalten wurden, »die Partnerin zu spüren«. Wir putzten unsere Wohnung, räumten eine Ecke fürs Körbchen frei und lasen der großen Schwester allerlei pädagogisch wertvolle Bücher vor, in denen sie schon mal darauf eingestimmt wurde, dass in ihrer Familie demnächst eine knallharte Geschwisterkonkurrentin eintreffen würde. Schließlich kauften wir einer Freundin ihren gebrauchten Teutonia-Kinderwagen ab, von dem wir geduldig die Sabberspuren des kleinen Vorbesitzers entfernten. Und als es dann tatsächlich losging, als die Nacht der Nächte anbrach, lief alles genau so ab, wie Mutter Natur das seit Millionen Jahren vorsieht. Nämlich schmerzhaft, zäh und – bis auf das Ergebnis – alles andere als beglückend.
Was bin ich froh, dass es damals noch keine Internetforen gab, in denen unbekannte Frauen einander die blutigsten und schleimigsten Details ihrer Niederkunft berichten. Da ist vom » MUMU « die Rede, was eine Abkürzung für Muttermund ist, »der drei Zentimeter offen und butterweich ist«. Von einem »Peng-Platsch, als die Fruchtblase platzt«, von der »alten Naht vom Dammschnitt, die aufreißt wie ein Reißverschluss«. Später kommen in diesen Intimbeichten dann Neugeborene vor, die »nach Fruchtwasser und Blut« riechen, sowie Nachgeburten, die vom Vater in die mitgebrachte Kühltasche verfrachtet werden, um sie zeitnah unter einem Bäumchen vergraben zu können. Und es tauchen natürlich und immer wieder gern Hebammen auf, die wahlweise »Hebi«, »Hexe«, »Retterin« oder »Stümperin« genannt werden.
»Kurz nach ein Uhr«, so der anschauliche Online-Geburtsbericht einer Geschlechtsgenossin, »Pausen zwischen den Wehen gibt es kaum noch. Schnell noch mal pieseln, reichlich Blut dabei. Ich weiß nun, dass es nicht mehr lange dauern kann. Wieder auf dem Bett geht der restliche Schleimpfropf ab. Plötzlich muss ich schieben. Drei Presswehen, der Kopf ist am Damm. Noch eine Wehe, die mir unendlich lange vorkommt: Der Kopf ist geboren. Endloses Warten auf die letzte erlösende Wehe: Toni ist endlich da. In intakter Fruchtblase wie schon ihre große Schwester.«
Mal ehrlich, wer will das wissen? Soviel ich weiß, vergisst das Internet nichts und niemals. Allein die Vorstellung, dass die hier beschriebene Toni dereinst im digitalen Nachlass ihrer Frau Mama stöbern könnte und sich dabei in äußerst privaten schleimpfropfigen Zusammenhängen dargestellt fände, ist doch eher beunruhigend. Und das Posting einer Online-Mama »Jo, so hätte ich’s mir auch gewünscht: schnell und schmerzhaft« wird Toni später nicht gerade ermuntern, es auch mal mit dem Kinderkriegen zu probieren. Auch ich hätte mich als junge Frau möglicherweise gegen den Exzess einer Geburt entschieden, hätte ich gewusst, was online-affine künftige Eltern darüber heute alles lesen dürfen und müssen. Gott sei Dank hat Mutter Natur in jede Gebärende auch eine Deponie eingebaut, in die sie die Erinnerungen an ihre Entbindung verklappen kann; gäbe es die nicht, würde sich keine Frau bereitfinden, mehr als ein Kind zu gebären.
Sei’s drum, hier im Geburtshaus geht es an diesem Abend keineswegs um Blut, Schweiß und Freudentränen. Sechs werdende Eltern sind zum Informationsabend gekommen: zwei Paare und zwei alleinreisende Frauen. Ich höre zu, wie die beiden Hebammen den neugierigen Besuchern ihren Job erklären. Wie sie vom »Raumgeben für das Baby« sprechen, von Kennenlernen und Zusammenarbeiten, Wärme geben und Zeit lassen.
Zeit ist das Zauberwort – das weiß ich, seit ich bei meiner ersten Entbindung erlebt habe, was es heißt, wenn eine Hebamme keine Zeit für ihre Patientin hat. Ich wartete allein und schmerzzerschlissen Stunde um Stunde in einem neonbeleuchteten, weißgekachelten Raum darauf, dass sich entweder mal jemand um mich kümmert oder – noch besser – dass das Kind endlich kommt. Gegen Ende dieser Folter kehrte sich ohne
Weitere Kostenlose Bücher