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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Maier
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solchen Livestyletrends beruft sich die mitteleuropäische Agitationsmutter auf die Naturvölker. Die hätten schließlich auch keine Windeln gekannt und hätten es noch verstanden, selbst Kleinstkindern von den blanken Augen und den sabbernden Schnuten abzulesen, wann es bei ihnen so weit ist. Da ist viel die Rede von Nähe, Feingefühl, Symbiose und Schlüssellauten, die die Kinder – und übrigens auch die Eltern – ausstoßen sollen, wenn’s ans Geschäftmachen geht.
    Im Internet wird das alles sehr anschaulich und natürlich rein naturvölkisch erläutert. Auf einer Seite wird eine Frau zitiert, die fest davon überzeugt ist, dass die Windelindustrie Teil einer großen Weltverschwörung ist, und die sich wundert, warum Eltern sich derart nutzlos zu Windelkäuferinnen machen lassen. Dabei, so sagt sie, müsse der Gebrauch von Windeln nun wirklich nicht sein, »sofern wir mit dem Kind über seine Ausscheidungen kommunizieren. Stellen wir uns einfach mal die Frage, wer tatsächlich davon profitiert, wenn Kinder lange und permanent gewickelt werden. Das Kind mit einer Windeldermatitis sicher nicht.« Nein, sicher nicht, liebe unbekannte Mutti. Aber vielleicht bist du es ja, weil du nur so deinen permanenten Zugriff auf dein Kind rechtfertigen kannst?
    Allein die Vorstellung, das Kind nie der Oma geben zu können, weil die keine Ahnung von moderner Interaktion hat, ist ein Grauen für alle Eltern, die außer Kinder zu haben vielleicht auch mal zusammen ins Kino gehen oder einfach nur sechs Stunden am Stück schlafen wollen. Windelfrei-Mütter brauchen das alles natürlich nicht – sie haben das Kind und sind qua Geburt in eine höhere Daseins- und Bewusstseinsstufe gewechselt, in der man weder Kultur noch Sex oder Schlaf braucht.
    Zu allen Zeiten gab es seltsame Trends und zu allen Zeiten Leute, die nichts Besseres zu tun hatten, als sie mitzumachen. Was in den Neunzigerjahren die Ohrwachskerze für die Mutter und die Bernsteinkette fürs Baby waren, das ist heute das Babyyoga als Zeitvertreib für Eltern mit leerem Terminkalender. Man trifft sich, macht die Kinder nackig, dehnt ein bisschen ihre Arme und zahlt anschließend eine Handvoll Euro für etwas, was man genauso gut allein zu Hause hätte erledigen können. Aber da sieht’s ja keiner, und darum geht’s auch im großen Muttivergleich: um Sichtbarkeit und Vergleichbarkeit. Das Geld für den Kurs, die Zeit, um dort hinzukommen, den Aufwand, etwas so Unberechenbares wie ein Baby pünktlich zum Schaudehnen zu bringen – das alles verlangt nach Anerkennung. Und die gibt es nur in der Gruppe.
    Und machen wir uns nichts vor, das Tolle an derlei Veranstaltungen ist doch, dass man zu Hause mal rauskommt und andere Eltern trifft. Ein Bekannter von mir, der mit seinem Sohn zehn Monate Elternzeit genommen hatte, gibt das unumwunden zu. Mag sein, dass das geliebte Kind wirklich schnuckelig ist und das Beste, wofür man sich im Leben entschieden hat. Aber die politische Weltlage, die neue Eels-Platte oder die skandalösen Zuzahlungssätze der Krankenkassen lassen sich eher nicht mit ihm besprechen. Freund Fritz suchte deshalb eine Pekip-Gruppe auf. Neun Frauen, zehn Babys, ein Mann. Fritz.
    Anderthalb Stunden dauert so ein Termin beim Prager-Eltern-Kind-Programm. Auch hier werden die Kinder ausgezogen, der Raum ist gut beheizt, und die Babys robben auf Matratzen herum. Zur Einstimmung singen die Eltern ein Lied, anschließend wird ihnen von kundigen Pädagogen gezeigt, »wie sie ihr Kind durch Bewegungs-, Sinnes- und Spielanregungen in seiner Entwicklung unterstützen und begleiten können«. Das klingt nach Arbeit und soll kaschieren, dass Pekip nichts anderes ist als die prima Möglichkeit für Eltern, sich zu treffen, zu unterhalten und hinterher jemand anderen aufräumen zu lassen. So jedenfalls hat Fritz mir das erklärt.
    Als Mann war er in diesem erlauchten Klub natürlich etwas ganz Besonderes. Dass er es trotzdem geschafft hatte, im Laufe der zehn Monate die natürlich gegebenen Geschlechtergrenzen zu überwinden, wusste er spätestens, als es beim NachPekip-Kaffee um so interessante Themen wie Dammnahtpflege und Brustentzündungen ging. Und als eine der Mütter in die Runde fragte: »Habt ihr auch noch nicht wieder eure Tage?«, wusste Fritz, dass er nun wirklich angekommen war in der Welt der Frauen. Gerade ist er zum zweiten Mal Vater geworden, er fragt sich nun, ob ihm diesmal in der Elternzeit endlich Brüste wachsen werden.
    Möglicherweise aber nutzt

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