Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Geburtstag kennenlerne. »Und, was machst du so?«, würde ich fragen.
»Och«, sagt Sabine und nippt an ihrem Gurkenshake, »ich forsche im Bereich Klang/Töne, Gesang und Heilung. Ich kann das, weil ich sechs Jahre indischen Gesang studiert habe, zusätzlich die Schule der Stimmenthüllung besucht habe und eine Seminararbeit zum Thema Klang und Begegnungen in Beziehungen geschrieben habe. Du zum Beispiel«, würde Sabine sagen und mir dabei mit dem Zeigefinger in die Brust stechen, »du bräuchtest ganz dringend mal einen Kontakt zu deinem kindlichen Selbst, das sehe ich dir an. Komm doch nächste Woche mal bei mir vorbei, bring fünfzig Euro mit und lass mich dir eine tibetische Klangschale auf den Bauch stellen.«
»Ach Sabine«, würde ich antworten, »das ist voll nett von dir, danke schön. Aber mein kindliches Selbst ist gerade auf Klassenfahrt. Vielleicht ein andermal, ja?«
Im Ernst, mein Problem mit diesen ganzen Erkenntnis- und Seelensachen ist, dass wie selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass mit mir irgendetwas nicht in Ordnung sein soll. Dass ich ein falsches Leben führe, wo doch schon der Fingerzeig eines Engels reichen würde, um mir mal die richtige Lebensausfahrt zu zeigen. Die Esotanten und -onkel dieses Landes sorgen dafür, dass ich mich irgendwie daneben finde, auf dass sie mich mit ihren Eurythmien, Massagen, ihrem Kraftgedöns und Heilgefaste in ihre nicht unbedingt lebenstüchtige Ecke hineintherapieren können. Das stört, macht misstrauisch und stellt mich als Frau in eine Ecke, in die ich nicht gehöre.
Männer würden vielleicht eher einen Kettensägenworkshop beim örtlichen Forstamt belegen, sie würden einen Schweißerschein machen oder den Sushi-Kurs in der Volkshochschule absolvieren, als sich für das ganze schöne Geld im Sithar-Takt zu wiegen. Sie würden sich Fertigkeiten aneignen, mit deren Hilfe sie notfalls einen Klafter Brennholz besorgen, Babys Gartenschaukel bauen oder eine große Platte Maki zubereiten könnten, statt bei Aama Bombo aus Nepal »Weisheit und Kraft für die nächsten sieben Generationen« zu erlangen. Frauen dagegen werden aufgefordert, nicht nur selbst zu kommen, sondern auch noch ihr Kind zur Heileurythmie zu schicken, auf dass es im Rahmen der »Orpheus-Beratung« inkarniert werde, das Bettnässen überwinde sowie Ängste, Asthma, Neurodermitis und Schulmüdigkeit in den Griff kriege.
Mich kriegen die nicht mehr. Ja, es gab eine Zeit, da war ich dermaßen durcheinander, dass ein geschäftstüchtiger, cleverer Guru mich leicht hätte fangen können. Ich hätte wohl nicht nur Bauchtanz erlernt, sondern auch gleich noch »das Talent der Seele« entdeckt, mir ein Wurzelamulett gekauft, im Rahmen der Zyklusberatung »einen zärtlichen Umgang mit meinem Menstruationserleben« praktiziert oder im Zuge der »kreativen Leibtherapie nach Frick-Baer« gelernt, dass Geld etwas ist, dessen ich mich unbedingt entledigen sollte, indem ich es diesem oder jenem Therapeuten zustecke. Gott sei Dank hatte ich damals ganz wenig davon. Wäre es anders gewesen, könnte ich mich heute nicht so unschuldig amüsieren über all die bunten Zettel in jenem gebastelten Baum am Straßenrand. Ich wäre eine von denen geworden und meine Kinder verstörte Wesen, deren Familienaufstellungstherapie ich heute ratenweise finanzieren müsste. Und wahrscheinlich auch wollte.
W indelfrei oder
S o wird Mama unentbehrlich
H ier kommt eine gute Nachricht für all jene Mütter, die sich vollständig abhängig machen wollen von ihrem Kind. Es gibt nämlich eine neue Idee, wie Frauen in den Vierundzwanzig-Stunden-Dauerdienst eintreten und so Teil einer kleinen, elitären Bewegung werden können. Die Bewegung hat auch einen Namen: Windelfreie Erziehung. Bei dieser Methode, die voll und ganz auf die Mutter-Kind-Kommunikation setzt, sind Pädagogen am Werk, die freies Pinkeln gern in die UN -Charta der Menschenrechte aufgenommen sähen. Und es ist ganz einfach: Frauen müssen lediglich bereit sein, ihre Babys Tag und Nacht alle zwanzig Minuten hochzunehmen und zu hoffen, dass die nun wie verabredet ihr großes oder kleines Geschäft verrichten.
Ist das nicht großartig? Ich stelle mir vor, wie bald ganz Berlin auf diesen Esotrichter kommt und in den Straßen und Parks, in Hauseingängen und Behördenfluren Frauen stehen, die die nackten Hintern ihrer Kinder wahlweise in die Frühlingssonne oder den Novembersturm halten und auf ein gutes Pipi- oder Kacka-Ergebnis warten. Wie stets bei
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