Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
komme ich wieder hierher, um mal den praktischen Teil zu begutachten. Es ist – was für ein schöner Zufall – ein Freitag, der dreizehnte. Sämtliche Kronleuchter sind eingeschaltet, durch die bodenlangen Gardinen fällt die Sonne. Das ist aber schon alles, was auf das Standesamt als besonderen Ort verweist, ansonsten herrscht Ämteratmosphäre. Im Warteraum lümmeln vier Gestalten: eine hochschwangere, sehr junge Frau und drei Männer. Warten sie auf jemanden? Warten sie gar darauf, getraut zu werden – und wenn ja, welcher der Männer heiratet die coole Jungfer mit der riesigen Sonnenbrille im ungekämmten Haar?
Die Jungs sind alle deutlich älter als die Braut, sie tragen Bärte, Kapuzenpullis, schlecht sitzende Beutelhosen und reden lautstark über Motorradstrecken in Australien. Die Braut sitzt still und allein in der Ecke. Ich frage mich, was sie bewogen haben mag, einen der drei Typen zu ehelichen. Das Kind ehrlich machen? Steuern sparen? Wahre Liebe? Um elf Uhr öffnet sich die Tür zum kleinen Trauzimmer, die vier schieben ab und kommen sechs Minuten später wieder raus. Die Frau hält einen der drei Klone bei der Hand, der ist es also geworden. Sie muss noch mal, das Kind drückt auf die Blase. Er hält solange die Eheurkunde, und dann verschwinden die beiden mit ihren Jungs in irgendeine gemeinsame Zukunft.
Die Standesbeamtin kommt um die Ecke zu mir und erklärt: »Die wollten nüscht, keine Musik, keine Ringe, nur unterschreiben. Heute Morgen um neun waren zwei hier, die kamen mit dem Fahrrad. Helm ab, unterschreiben und weg. Die Frau hatte so schmutzige Schuhe – mit den Botten würde ich nicht nur nicht aufs Standesamt gehen, sondern auf gar kein Amt.«
Sie ist nicht wirklich enttäuscht, sie hat sich dran gewöhnt. Das ist Berlin, das ist Heiraten im 21. Jahrhundert, im angesagtesten Familienbezirk der Republik. Ach, denke ich beim Rausgehen, ist doch egal, wie man’s macht. Ich habe ja auch nur unterschrieben, keine Ringe, kein Familienname. Eine Maßnahme. Und, hat’s geklappt? Ja.
T ransporträder im Familiengewühl oder
I ch hab nichts gemacht, Pablo!
A ls ich heute Morgen auf dem Balkon des Wegwarte-Hauses stehe, sehe ich sie vorbeifahren. Eine Mutter im Office-Outfit, gekleidet wie jemand, der bereit ist für diese Welt und die damit verbundenen Herausforderungen. Hellblaue Bluse, halblanger Rock, Fußbett-Pumps. Sie fährt Rad. Hinten hat sie eines ihrer Kinder in den gefährlich schwankenden Römer-Sitz gepackt, vorn zwischen ihren Knien klebt das größere Kind auf dem Lenkersitz. Eine mächtige, wertvolle Fuhre treckt sie da Richtung Kita, behäbig und nicht ganz spursicher auf dem löchrigen Bürgersteig.
Um alles noch einmal zu unterstreichen – die Eile, die Verantwortung, den Job, zu dem sie gleich muss –, hat sie sich praktischerweise das Fahrradschloss um den Hals gehängt. Ich sehe die Frau die Straße runterradeln. Müde sieht sie aus, gestresst, obwohl es gerade mal acht Uhr morgens ist. Sie hat schon ihre erste, die Kinderschicht hinter sich.
Ich kenne das. Besser: Ich habe das mal gekannt. Morgens pünktlich die Kinder wecken, ihnen den Schlafsand aus den Augen und die Zahnpasta aus den Mundwinkeln wischen, Cornflakes auftischen, Äpfel schnippeln, halbwegs gute Stimmung verbreiten und trotzdem fortwährend zur Eile mahnen. Und eigentlich schon jetzt, nach nur einer Stunde Tag, das erste Energiemanko spüren. Waren die Kinder schließlich in Schule und Kindergarten verklappt, musste ich erst mal kurz durchatmen. Der Tag einer erwachsenen Arbeitnehmerin, die auch noch etwas anderes als Kitafahrt und Impftermine im Kopf hatte, konnte beginnen.
So ist es heute offensichtlich immer noch. Nur wenig später, wenn auch die Männer in Anzug und mit Fahrradhelm mit ihren Kindern durch sind, beginnen die Macchiatomütter die Straße hinunterzutrudeln. Sie haben Zeit. Gemächlich ziehen sie mit ihrer Brut zum Eltern-Kind-Café, zum Spielplatz oder Babyyoga. Sie schieben ihre Räder, in deren Anhängern die lieben Kleinen sitzen. Die meisten Frauen reden unentwegt mit ihren Kindern, auch wenn sie zweieinhalb Meter hinter ihnen in ihrer Kalesche thronen.
Diese Anhänger, Planwagen gleich, sind sicher praktisch und ganz sicher richtig teuer. Eine Anschaffung für jenes Leben, das man mit Kindern zu führen bereit ist. Chariots heißen sie, »Kindertransporter« werden sie auf der Website des Anbieters genannt. Vielleicht bin ich zu alt – aber bei diesem Wort habe ich
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