Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
kaum noch nach, ob die Eltern sich im Klaren darüber sind, was es für ihr Kind einst bedeuten mag, wenn sie es Germania, Philadelphia oder Pinguin nennen. »Die sollen einfach irgendeinen Namen dazugeben, der das Geschlecht erkennen lässt – und fertig.«
Viele neue Namen hat sie inzwischen kennengelernt. Das kommt, weil im weltläufigen Ostberlin mittlerweile jede zweite Ehe »unter Auslandsbeteiligung« geschlossen wird. So nennt sie das: Auslandsbeteiligung. Ach, deutsche Ämter! Diese Ehen und der ganze damit verbundene Aufwand, seien heute das Beste an ihrem Job, »das Salz in der Suppe«. Herrlich kompliziert sei es, aus arabischen Ländern die nötigen Unterlagen herbeizuorganisieren, auch Asien sei eine harte Nuss. Klasse, dass die ganze Welt hier inzwischen zu Hause sei.
Nur mit dem Heiraten an sich haben es die Prenzlauer Berger nicht mehr so. Bis zum Mauerfall – die Frau macht diesen Job seit dreiunddreißig Jahren – wurden im Bezirk jährlich anderthalbtausend Ehen geschlossen, heute sehen sie und ihre Kolleginnen zu, dass sie tausend im Großbezirk Pankow-Prenzlauer Berg zusammenbekommen. Das liegt an zwei verschiedenen Dingen. Einerseits sind die, die hier wohnen, keineswegs mehr so mit dem Kiez verbunden wie die Ur-Prenzlauer Berger, von denen die meisten sowieso weggezogen sind. Und wenn es tatsächlich ans Heiraten geht, wird jetzt schön brav nach Hause gefahren: nach Bayern, Hamburg oder Niedersachsen, Thüringen und Hessen. Dort wird dann mit großem Bums gefeiert, und zwar kirchlich. Etwa jedes dritte Paar, dem die nette Berliner Standesbeamtin das Doppel-Ja abringt, kommt nur vorbei, um später noch mal »richtig« zu heiraten, also mit Glocken, Segen und allem Drum und Dran.
Das Behördliche verdirbt den Heiratswilligen die Laune. Zumal hier, wo auf dem Flur ein vergilbter Zettel hängt, auf dem steht, man möge sich zehn Minuten vor der Trauung im Büro melden, den Reisepass dabeihaben, bei binationalen Eheschließungen einen »zuverlässigen Dolmetscher« mitbringen und doch bitte heute ausnahmsweise mal den Hund zu Hause lassen. Derlei unromantische Warnungen und Forderungen stehen nun mal diametral dem Wunsch entgegen, so etwas Repräsentatives und Sinnstiftendes wie eine Ehe zu schließen im angesagtesten Familienbezirk der Republik.
Daher verzieht man sich nach geleisteter Unterschrift lieber woanders hin: auf ein Schlösschen im Mecklenburgischen oder in ein schnuckliges Landhaus auf Sardinien. Da können die frisch beglaubigten Familien dann ungestört ihre tief sitzenden konservativen Hochzeitsträume ausleben: mit Reliefdruck-Einladungen, Hussen-Stühlen, einem Jazztrio, Kinderprogramm, Feuerwerk, Tauben und dreistöckiger Torte. Ein ehemaliger Kommilitone gibt den Zeremonienmeister und organisiert für diese komplett durchgeplante Party total überraschende Musikeinladungen und Spiele.
Wenn sie aber dann doch aufs Standesamt kommen, die Zugezogenen, wissen sie meist sehr genau, was ihnen eine steuerfinanzierte deutsche Standesbeamtin schuldet. Die »Wessis«, wie sie sie nennt, bringen meist sehr klare Vorstellungen mit und erwarten von ihr, dass sie ihnen alle nötigen Unterlagen herbeiorganisiert. Aus Passau und La Paz, Paderborn und Paris. »Sie sind doch öffentlicher Dienst – also bitte, hopp, hopp!« Und obwohl sie nicht dafür vom Staat bezahlt wird, bleibt sie immer freundlich und erklärt den lieben Liebenden gern, wo sie ihren Familienbuch-Auszug herbekommen.
Irgendwann ist dann schließlich doch alles beisammen, und es wird geheiratet. Jede Woche Freitag geht es hier zur Sache, sechs Trauungen in drei Stunden. Klar gibt es immer noch solche Ignoranten wie uns damals, die sich ohne Trara zusammenschreiben lassen. Aber auch immer mal wieder welche, die unabgesprochen zum Sektempfang im Standesamt einladen. »Das machen die einfach«, sagt die sonnige Standesbeamtin, »ohne vorher zu fragen. Da knallen dann die Korken, es wird gesungen, die Kinder düsen fröhlich durch die Gegend. Und wenn sie fertig sind damit, wehen die zur Tür hinaus und wir räumen auf.« Sie guckt gerade nicht ganz so fröhlich. Denkt an den ganzen Reis und die Rosenblätter, die sie und ihre Kolleginnen immer freitagnachmittags wegfegen müssen, an die stehen gelassenen Flaschen und Becher. Und an die Kackwindel, die sie erst neulich neben dem Toilettenbecken gefunden hat. Aber egal, sagt sie und lächelt wie zuvor, wer soll’s denn sonst machen?
Drei Tage nach unserem Gespräch
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