Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
er die Zeit auch für das angesagte Windelfrei-Projekt. Da kommt man ebenfalls ins Gespräch mit Fremden.
U nd sie hat Ja gesagt oder
E hrlichmachen im Standesamt
E s war ein Freitag, ein dreizehnter. In einem Anfall geistiger Umnachtung war ich kurz vor der Trauung noch mal zum Friseur gegangen. Man hatte mir dort einen Schnitt verpasst, den meine Mutter flippig genannt hätte: irgendwas Abgefrästes in Hennarot. Ich sah schrecklich aus, und ich hatte danach noch weniger Lust zu heiraten. Auch der Bräutigam sandte deutliche Signale, dass ihm dieser Termin, dieser Freitag, der dreizehnte, ziemlich gleichgültig war. Gerade so hatte er es über sich gebracht, sich die langen Haare zu kämmen – und dann mussten wir auch schon los.
Unsere Trauung im Standesamt Prenzlauer Berg ist mir nur noch schemenhaft in Erinnerung. An diesem diesigen Novembermorgen waren wir samt erstem Kind, Eltern und Geschwistern die paar hundert Meter zum Rathaus gefahren. Ich trug einen gigantischen grünen Strickpullover, der nur schlecht meinen Schwangerenbauch kaschierte, dazu einen geborgten schwarzen Rock meiner Mutter. Der Gatte in spe guckte, als führe man ihn zum Schafott. Und tatsächlich war es ja auch fast so. Er, der westdeutsche Wehrdienstflüchtige, hatte sich auch nach dem Mauerfall nicht drum gekümmert, seine Verweigerung anerkennen zu lassen. Und nun wollte ihn sein Staat noch mal zu den Waffen rufen – mit achtundzwanzig Jahren. Verdammt. Wegen seiner tiefen Verzweiflung und Angst bot ich ihm schließlich an, ihn kurzerhand zu heiraten. Soldaten mit Unterhalt beanspruchenden Ehefrauen und Kindern wurden oft verschont.
Und so kamen wir also an diesem Freitag, dem dreizehnten November, angerollt. Die Standesbeamtin hatte uns bei der Anmeldung geraten, nicht auf Musik zu verzichten, das verbreite eher eine Art Beerdigungsatmosphäre. Deshalb perlte dann irgendetwas aus der Konserve – wenigstens Musik, wo wir schon keine Ringe hatten und auch nicht die Absicht, einen gemeinsamen Namen anzunehmen. Eine Trauzeugin hatte, trotz vorheriger Mahnung, ihren Personalausweis vergessen, sodass nun ihr Freund einsprang und mein Mann heute über einen Zeugen verfügt, an dessen Namen er sich nicht einmal mehr erinnert. Eine Viertelstunde dauerte die Sause, wir sagten Ja und unterschrieben die Eheurkunde.
»Freut ihr euch gar nicht?«, fragte meine frisch gebackene Schwiegermutter, die sich die Hochzeit ihres Sohnes sicher ein bisschen anders vorgestellt hatte. Wir freuten uns anstandshalber ein bisschen, und dann gingen wir alle zum Chinesen und aßen irgendwas Süßsaures. Es war in erster Linie eine Maßnahme. Mehr nicht.
Als ich nun, viele, viele Jahre später, wieder die Tür vom Standesamt Prenzlauer Berg öffne, erkenne ich kaum etwas wieder. Gäbe es nicht ein paar verwackelte Fotos von meiner Hochzeit, ich hätte den Trautisch nicht als jenen erkannt, an dem ich einst meine Unterschrift geleistet habe. Die Standesbeamtin ist sehr gut drauf, sie spricht ein wunderbar gepflegtes Ostberlinisch und strahlt mich an. Das liegt nicht nur an ihrem Job, in dem sie fast ausschließlich Menschen begegnet, die heiraten wollen oder für ihr Neugeborenes die Geburtsurkunde ausstellen lassen, also insgesamt Positives im Schilde führen. Nein, es liegt auch daran, dass sie sich freut, mich zu treffen. Sie war es nämlich, die uns damals zur Musik geraten hat, die unser Ja abgefragt hat und fünf Monate später eine der seltenen Prenzlauer-Berg-Geburtsurkunden für unser Kind ausgefüllt hat. Wer hier nämlich Kinder bekommt und bekam, hat das im Geburtshaus oder zu Hause erledigt oder musste zum Gebären in einen anderen Bezirk, eine Geburtsklinik gibt’s bis heute nicht im Prenzlauer Berg. Zum Gespräch hat sie alle Papiere mitgebracht und freut sich. Ich auch.
Doch an unsere Trauung kann sie sich nicht erinnern. Mit Verlaub, antworte ich, das gehe in Ordnung, nicht mal ich kann das. Viele Kinder habe sie in jenem Jahr ja nicht beurkunden müssen, Gebären war so kurz nach der Wende im Osten eher ein auslaufender biographischer Entwurf. Tatsächlich, erst Baby Nummer 63 war unsere Tochter damals, und das im schönen Monat Mai!
Heute hingegen hat sie ordentlich zu tun. Fünftausend Neugeborene werden von ihr und ihren Kolleginnen pro Jahr beurkundet, Tendenz steigend. Nirgendwo in Berlin werden so viele Kinder geboren wie hier. Und seit das Namensrecht so geändert wurde, dass jeder tun und lassen kann, was er will, fragt sie auch
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