Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
entgegensetzen?
Hoffen wir mal für die älteren Herren, die sich da einen kleinen Jungbrunnen hingezeugt haben, dass sie es schaffen, in Würde alt zu werden. Also klug zu sein, gelassen und stilsicher. Denn nichts ist doch schlimmer als berufsjugendliche Väter, die meinen, ihre Altersdepression nicht nur mit einem Kind therapieren zu müssen, sondern auch ihre Umwelt stets und ständig darüber in Kenntnis zu setzen, dass späte Vaterschaft das Nonplusultra sei, während sie ihre Kinder aus früheren Ehen scheinbar im Galopp verloren haben und sich gar nicht hätten kümmern können . Faule Ausrede. Natürlich hätten sie’s gekonnt, sie haben’s aber nicht getan, und nun müssen Klein-Ida und Paulchen als letztes sinnstiftendes Großprojekt alle ihre Wünsche wahr werden lassen. Ob das »schön« ist, wie Sibylle meckert, ist nur eine Nebenfrage. Wenn’s okay ist, ist es wunderbar. Aber nicht rumnerven! Einfach die Jahre genießen.
W eg in den Wedding oder
W enn Kinder unsexy machen
I ch bin inzwischen schon reif für den Wedding«, seufzt Micha. Dies könnte der schöne Satz eines genervten In-Bezirk-Bewohners sein, dem es hier irgendwie zu voll und zu anstrengend geworden ist. Ist es aber nicht. Die Sache ist, Micha und seine Freundin haben sich getrennt, und weil die Kinder bei ihr, also in Kitanähe bleiben sollen, muss Micha nun ausziehen und sich eine andere Wohnung suchen. Eine, in der der Freiberufler wohnen und arbeiten kann und in der sich an den Kinderbesuchstagen auch Clara und Paul wohlfühlen. Aber hier im Prenzlauer Berg findet er nichts Bezahlbares. Und nun muss Micha darüber nachdenken, in den Westen zu ziehen.
Tatsächlich sind es von dort, wo Micha zurzeit noch wohnt, nur ganz wenige Meter in den Bezirk Wedding, denn seine schöne preiswerte Altbauwohnung liegt unmittelbar an der innerstädtischen Zonengrenze. Ein Umzug nach drüben sollte eigentlich kein Problem sein, ist ja nur ein anderer Stadtbezirk. Es ist aber ein Problem für einen wie Micha, der seit Anfang der Achtzigerjahre im Prenzlauer Berg wohnt. Vor dem Mauerfall hat er von Osten her manchmal die Aussichtstürme auf der anderen Mauerseite fotografiert. Da standen die Westler, manchmal ganze Schulklassen, und starrten zu ihm herüber, manche winkten auch. Micha fühlte sich wie im Zoo. Da hat er halt zurückgeknipst. Er konnte sich damals tatsächlich einen cooleren Ort als den Osten vorstellen – aber innerhalb dieses Ostens war der Prenzlauer Berg das maximal Coolste, was es gab. Das begriffen die auf dem Turm natürlich nicht, die sahen nur ein Altbauviertel mit kaputten Fassaden. Micha gefiel’s. Und es gefällt ihm noch immer. Er will hier wirklich nicht weg. Aber zu Hause ist die Stimmung geladen, seine Freundin und er reden seit Wochen nicht mehr miteinander. Paul und Clara fangen schon an, aggressiv zu werden – Micha muss raus. Aber wohin? Im Prenzlauer Berg gibt es keinen Wohnraum mehr für einen wie ihn, einen Teilzeitvater in seiner größten Lebenskrise. Er musste zur Kenntnis nehmen, dass er ausgedient hat im Prenzlauer Berg, wo Wohnen immer öfter mit kreditfinanzierten Townhouses und Lofts assoziiert wird und die letzten preiswerten Mietwohnungen fest in der Hand jener sind, die schon immer hier gelebt haben. Also eigentlich solchen wie Micha.
Dabei hatte er alles richtig gemacht, zumindest in Hinsicht auf die geschlechterpolitische Neuausrichtung in diesem Land. Als die Kinder geboren wurden, hat er als Freiberufler weniger Aufträge angenommen und sich um Clara und Paul gekümmert. Seine Freundin, die voll arbeitete, fand das gut so, es war ja auch gerade schwer Avantgarde, dass die Väter in Elternzeit gehen. Er hat den Kindern Frühstück und Abendbrot gemacht, hat sie zur Kita und zurück gefahren, hat gekocht und geputzt, die Biowürstchen für die Kindergeburtstage aufgewärmt, Topfschlagen gespielt und Preistütchen verteilt. Hat Paul und Clara nachts Wadenwickel gemacht und tagsüber im Wartezimmer der Kinderärztin gehockt, das von den Hustenattacken kleiner Stadtbewohner widerhallte. Und wenn er gute Laune hatte, hat er sich zum Spielplatz einen Latte macchiato to go mitgenommen. Wie er dann da so saß und zwischen zwei Schlückchen Kaffee Clara und Paul die Nasen abgewischt hat, ist ihm keineswegs entgangen, dass die Mütter zu ihm rübergeguckt haben: was für ein toller Mann, dieser Micha.
Und dann das. Erst meckerte seine Freundin, die Wohnung sei nicht so sauber, wie das eigentlich zu
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