Lassiter und der Gentleman-Fighter
Das Saloongirl machte ein angewidertes Gesicht, als sei ihr ein unangenehmer Geruch in die Nase gestiegen. »Auf jeden Fall ist es eine Riesenschweinerei, die dort passiert ist. Mein Beileid, Mr. Webber.«
»Besten Dank.«
»Sie müssen einen ziemlich weiten Weg hinter sich gebracht haben«, stellte Amber fest. »Sie tragen ausgesprochen feine Klamotten. Das sieht man in dieser Gegend nicht allzu häufig.«
»Ich komme von der Ostküste«, bestätigte Webber. »Genauer gesagt: aus Boston.«
»Alle Achtung.« Die Blondine schob beeindruckt die Unterlippe nach vorn. »Diese Strapaze nimmt man nur auf sich, wenn man glaubt, dass sich das auch wirklich rentiert.« Ihr Job brachte es mit sich, dass sie ein lohnendes Geschäft witterte, wie ein Bär einen Honigstock. Wie beiläufig zupfte sie sich das Dekolleté zurecht. »Wenn Sie irgendwelche Unterstützung brauchen, sagen Sie mir einfach Bescheid. Ich kenne mich in Crawford gut aus. Es wäre mir ein großes Vergnügen, wenn ich Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen könnte.«
»Das ist wirklich sehr aufmerksam von Ihnen, Ma’am.« Webber bedankte sich mit einer angedeuteten Verbeugung. »Da gibt es tatsächlich etwas, worum ich Sie bitten würde. Heute Mittag habe ich einen Termin beim Lawyer. Vorher würde ich meinen Verwandten gerne noch eine Aufwartung machen. Wären Sie so freundlich und mir zeigen, wo sie begraben sind?«
»Das versteht sich doch von selbst. Sobald wir hier fertig sind, bringe ich Sie zum Friedhof.« Amber nickte diensteifrig. »Aber vorher kriegen Sie erst einmal ein ordentliches Frühstück. Sind Eier mit Speck in Ordnung? Und ein starker Kaffee zum Runterspülen?«
»Das klingt nicht schlecht«, stimmte ihr neuer Bekannter mit einem Schulterzucken zu. »Wenn ich anstelle des Kaffees allerdings einen Tee bekommen könnte, wäre ich Ihnen sehr verbunden.«
»Tee?!« Die schöne Serviererin schürzte verwundert die Lippen. »Ist das nicht das fade Gesöff, das sie angeblich immer bei Miss Bloomingdales Bibelkreis trinken? Ich glaube kaum, dass wir das im Bow & Arrow haben. Aber ich werde versuchen etwas davon aufzutreiben.« Sie schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln. »Schließlich möchte ich doch, dass Sie sich bei uns gut aufgehoben fühlen.« Nach einem verheißungsvollen Blick verschwand sie mit wogenden Hüften in Richtung der Küche.
***
Die Sonne stand strahlender Feuerball am makellosen Himmel, fand aber kaum Beachtung unter den Passanten, die in Crawford unterwegs waren. Deren Aufmerksamkeit galt vielmehr dem ungewöhnlichen Paar, das die Mainstreet entlang schlenderte. Ein Mann, dessen feiner Anzug durchaus einem Senator oder einer ähnlich bedeutenden Persönlichkeit würdig gewesen wäre, führte eine Blondine am Arm, die zwar ebenfalls äußerst attraktiv war – bei der Wahl ihrer Kleidung weniger Wert auf schlichte Eleganz gelegt hatte. Ihr feuerrotes Kleid saß so eng, dass man sich unwillkürlich die Frage stellte, wie sie darin überhaupt atmen konnte. Bloß, weil ihr Rock bis hinauf zum Oberschenkel geschlitzt war, war es ihr möglich einen Fuß vor den anderen zu setzen. Bei jedem Schritt lugte ein endlos langes Bein aus der Stofföffnung hervor, das in einem schwarzen Netzstrumpf steckte. Das Haar hatte sie zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt. Ihr gewaltiger Ohrschmuck gab bei jeder Bewegung ein leises Klimpern von sich.
Webber und Amber bekamen nichts von dem Interesse mit, das ihnen von allen Seiten zuteilwurde, denn sie waren zu sehr in ihre Unterhaltung vertieft.
»Was für ein Mensch war mein Onkel?«, wollte Webber wissen. »Es ist schon so viele Jahre her, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen habe. Ich war noch ein kleiner Junge, als er damals in den Westen aufgebrochen ist. Danach habe ich ihn nie mehr wieder getroffen. Um ehrlich zu sein, ich hatte beinahe schon vergessen, dass es ihn überhaupt gibt. Bis dann das Telegramm vom Lawyer kam.«
»Es wäre eine Lüge zu behaupten, dass ich deinen Onkel gut gekannt habe«, entgegnete Amber. Mit einer beiläufigen Geste rückte sie ihm den Kragen seines Jacketts zurecht. »Er und deine Tante lebten ziemlich zurückgezogen auf ihrem Gehöft jenseits der Stadtgrenze. Manchmal hat man sie wochenlang nicht zu Gesicht bekommen. Dann tauchte er plötzlich wieder im Saloon auf und ließ die Puppen tanzen. Wenn er gut gelaunt war, lud er die ganze Kneipe zum Bier ein.«
»Das hört sich an, als ob seine Geschäfte ziemlich gut gelaufen wären.«
»Nun ja, er
Weitere Kostenlose Bücher