Lassiter und der Gentleman-Fighter
er an den Erben weiterreichte. »Das hat Ihr Onkel bei mir deponiert. Es ist ebenfalls Teil des Besitzes.«
»Was hat das zu bedeuten?«
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Ihr Onkel hat sich über den Inhalt nicht geäußert. Meine Aufgabe ist es, die Hinterlassenschaft dem Empfänger auszuhändigen. Neugierige Fragen zum Inhalt zu stellen, verbietet mir dabei meine Berufsehre.« Er stopfte seine Sachen zurück in die Tasche. »Ach ja, bevor ich es vergesse: Bisher wurden die Tiere Ihres Onkels vom Besitzer des städtischen Mietstalls notdürftig mitversorgt. Sie schulden ihm dafür noch fünfzig Dollar. Nachdem ich Ihnen den Besitz nun offiziell übergeben habe, gehe ich davon aus, dass Sie die Pflege nun wieder selbst übernehmen.«
»Aber ich habe keine Ahnung, wie …«
»Okay, damit ist nun alles geregelt«, unterbrach Vaughan seinen Klienten, ohne auf dessen Einwand mit einer einzigen Silbe einzugehen. »Ich muss dringend zurück zu meinem Office. Dort warten wichtige Termine auf mich. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Sir.« Er wandte sich um, bestieg seinen Zweispänner und griff nach den Zügeln. Kurz darauf war er vom Gehöft des ermordeten Ehepaars verschwunden.
Der neue Besitzer blickte ihm nachdenklich hinterher.
»Okay, Onkel Horace, mal sehen, welche Überraschungen du sonst noch für mich parat hast.«
Webber wollte gerade den Umschlag öffnen, als ein anderes Geräusch seine Aufmerksamkeit auf sich zog.
In der Scheune hatten Tierlaute eingesetzt.
Ungeduldiges Wiehern war zu hören, in das sich in unregelmäßigen Abständen das Blöken von Kühen mischte.
»Scheint so, als würden dort ein paar Herrschaften gespannt darauf warten, ihren neuen Boss kennenzulernen.«
Webber steckte das Kuvert in seine Jacke, dann machte er sich eilig auf den Weg in die Scheune.
Eine Hälfte des Gebäudes wurde als Stall genutzt. In einem Pferch waren fünf Pferde eingesperrt. Sie standen dicht um eine zweiteilige Tür gedrängt, die in der linken Seitenwand ins Freie führte. Als die Tiere den Mann bemerkten, der die Scheuer betrat, begannen sie aufgeregt mit den Hufen zu scharren.
»Okay, ich habe verstanden. Ihr wollt frische Luft schnappen«, erkannte der frischgebackene Besitzer. »Moment … das wird sofort erledigt.«
Webber zwängte sich zwischen den Querbalken des Verschlags hindurch. Um seine eleganten Schuhe so wenig wie möglich mit dem am Boden liegenden Mist in Berührung zu bringen, näherte er sich auf Zehenspitzen der Tür. Als er die öffnete, stürmten die Pferde sofort auf die hinter der Scheune liegende Koppel. Voller Appetit machten sie sich über das grüne Gras der Weide her.
»Na, besten Dank auch.« Webber hob beide Hände zum Himmel, denn er hatte festgestellt, dass der von den Hufen aufgewirbelte Dreck auf seinem feinen Anzug von oben bis unten braune Flecken hinterlassen hatte. »An euren Manieren müsst ihr aber noch gründlich arbeiten, Herrschaften.«
Er begann sich den Schmutz von der Kleidung zu wischen. Dabei blieb sein Blick auf den beiden Kühen hängen, die ihn aus dem Nachbarpferch mit großen Augen anglotzten.
Sie stimmten ein erneutes Muhen an.
Den Rindern stand nicht der Sinn nach Auslauf, denn sie hatten ein ganz anderes Problem. Ihre Euter waren prall gefüllt und rund wie Bälle.
»Meine Güte, ihr erwartet doch wohl nicht ernsthaft von mir, dass ich höchstpersönlich Hand bei euch anlege?« Webber kratzte sich am Hinterkopf. Da entdeckte er den Melkschemel und den Blecheimer, die neben dem Pferch an einem Haken hingen. »Na gut.« Er stieß schwer die Luft durch die Nase aus. »Ich werde es versuchen. Aber ich übernehme keine Garantie, dass ich mich dabei nicht entsetzlich ungeschickt anstelle.«
Von den Tieren genau beobachtet, holte er die ihm ungewohnte Ausrüstung. Unschlüssig blieb er vor dem Gatter stehen.
In diesem Moment ertönte hinter ihm ein Knirschen.
Webber fuhr herum.
Zwei Männer standen im offenen Scheunentor.
Ihre grimmigen Mienen verhießen nichts Gutes.
Bisher war noch kein einziges Wort gefallen.
Trotzdem hing Ärger in der Luft.
Die Hände der Besucher waren nur noch einen Fingerbreit von den Revolvern an ihren Seiten entfernt – bereit, die Waffen zu schnappen und aus den Holstern zu reißen.
***
»Guten Tag, Gentlemen«, sagte Webber, nachdem er den ersten Schrecken überwunden hatte. Die beiden Fremden hatte er noch niemals zuvor zu Gesicht bekommen. Also konnte es wohl kaum einen Grund zum Streit
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