Lassiters riskantes Spiel
Lassiter beschlich plötzlich eine Ahnung davon, dass er einer sehr ernst zu nehmenden Frau gegenübersaß, einer gefährlichen Frau geradezu.
»Jeder könnte diesen Brief geschrieben haben«, sagte sie leise, »jeder jedenfalls, der den betreffenden Politiker kannte.«
Je länger sie redete, desto mehr wich diese Kälte und Verschlossenheit aus ihrem Gesicht. Manchmal wirkte sie regelrecht anmutig, fast wie ein junges Mädchen.
»Wie auch immer, Jake: Meine Nachforschungen ergaben, dass es tatsächlich eine Affäre im Leben dieses Mannes gab – mit einem Mädchen aus Alexandria. Es verkehrt in der Golden Poker Hall. «
»Das wird ja immer verwickelter.« Lassiter nickte langsam und war jetzt sehr nachdenklich. Er betrachtete das dicke Kuvert auf dem Tisch, und nach und nach begann er zu begreifen. »Ich soll also spielen?« Er deutete auf das Kuvert. »Spielen auf Staatskosten?«
»Von einem ehemaligen Pinkertonmann hätte ich eine schnellere Schlussfolgerung erwartet«, sagte sie spitz. »Zuvor aber müssen wir noch herausfinden, ob es in den anderen erwähnten Fällen auch Erpresserbriefe gab.«
»Bei dem Colonel und dem Senator.« Lassiter leerte seine Teetasse. »Mein Job, wie es scheint.« Sie nickte. »Meine eigentliche Frage hast du mir aber immer noch nicht beantwortet, verehrte Gattin – wozu ermitteln wir als Ehepaar? Und wieso lebst du hier in Washington, wo wir doch eine gemeinsame Adresse in Fredericksburg haben?«
»Das Haus hier gehört meiner Familie«, sagte sie knapp. »Morgen reise ich nach Fredericksburg. Und deine erste Frage habe ich indirekt schon beantwortet. Du musst nur noch eins und eins zusammenzählen.«
»Eins und eins ist …« Und plötzlich fiel auch der letzte Silberdollar in seinem Hirnkasten. »Ich ermittle am Pokertisch und in fremden Betten, und du bist weiter nichts als ein Anlass für einen Erpresserbrief?«
»Genau so verhält es sich, Jake-Darling.« Verblüffend gut gelaunt wirkte sie auf einmal. »Ein guter Anlass übrigens: Wir haben Kinder – in einem Internat im Hinterland. Ich bin außerdem als sehr vermögend und extrem eifersüchtig bekannt. Ein einziger Seitensprung deinerseits, und du bist nicht nur ein einsamer, sondern auch ein armer Mann.«
***
Noch nicht viel los in der Golden Poker Hall, Harrison sah es am menschenleeren Bürgersteig vor dem Eingang. In Stoßzeiten palaverten dort Dutzende Gäste an der frischen Luft. Außerdem stand nur eine Kutsche vor dem Poker-Saloon, und kein einziges Pferd soff am Trog unter dem Hitchrike.
Er überließ seinem Assistenten sein Pferd und befahl ihm, den Bericht über den Leichenfund für die Countyverwaltung und das Office des Gouverneurs von Virginia zu schreiben. Er selbst schritt über die Mainstreet und betrat die Golden Poker Hall .
Der Sheriff von Alexandria, Virginia, unterschied sich doch ganz erheblich von einem Sheriff oder Townmarshal, sagen wir, in Austin, Abilene oder Santa Fe. Er trug teures Tuch, wie alle hier in Alexandria, die etwas auf sich hielten: einen ordentlichen Anzug aus gestreifter Hose, langem Gehrock und Lederweste. Dazu ein weißes Hemd und diese moderne Art von Krawatte, die als letzter Schrei aus Europa galt.
Harrison war ein großer, kräftiger, aber dennoch drahtiger Mann mit gepflegter Frisur, und bis auf den Schnurrbart glatt rasiertem Gesicht. Dieser Schnurrbart war es, der ihm den Anschein von Seriosität gab und mindestens zehn Jahre älter machte, als er in Wirklichkeit war.
Im kleinen Hinterzimmer des Poker-Saloons traf er Wilbur J. Lewellyn. Gemeinsam mit Holly Good und Lester O’Rourke aß er gerade zu Abend. »Du siehst aus, als kämst du vom Zahnarzt«, sagte Wilbur gut gelaunt. »Stimmt was nicht, Burt?«
Richtung Holly tippte sich Harrison an den Hut. Kaum einer in Alexandria war so modern gekleidet wie er, nur an die verdammten Melonen wollte er sich nicht gewöhnen. Der Sheriff bevorzugte den guten alten Stetson und würde es bis an sein Ende so halten.
»Wie man es nimmt«, sagte er, ging an die kleine Schrankbar und schenkte sich einen doppelten Whisky ein. »Drei Leichen haben wir gefunden, Soldaten.«
»Igitt, wie schrecklich!« Holly verzog angewidert das Gesicht.
»Soldaten?« Wilbur J. Lewellyn zog die Brauen hoch. »Wo?«
»Unten am Potomac. Schätze, einer ist der vermisste Colonel.«
»Doch nicht Amoz!« Holly schnitt eine weinerliche Miene und steckte ein Stück Steak in den Mund.
»Schon möglich.« Harrison zuckte mit den Schultern.
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