Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
und dann: »Wir haben angefangen, uns umzuhören, aber kein Mensch weiß irgendetwas. Was kaum überraschend ist, da ein Jahrzehnt vergangen ist und diese Leute nicht gerade ortsfest sind. Und natürlich würden die uns nicht mal was verraten, wenn wir ihre Großmütter aus diesem Loch geholt hätten.«
»Was ist mit Rinaldi?«
»Frosch bleibt bei seiner Geschichte. Was er weiß, weiß er nur aus Erzählungen. Nach der Überlieferung des Clubs kamen Gately und Martineau zu einer Party und marschierten direkt zu ihrem eigenen Begräbnis.«
»In Strumpfsocken?«
»Genau. Diese Typen gehen gern underdressed. Aber Frosch war nicht dabei, als das passierte. Hatte wahrscheinlich gerade seinen Wohltätigkeitsabend. Was ist mit dem dritten Kerl?«
»Der dritte Kerl ist ein Mädchen.«
»Ein Mädchen.«
»Ja. Was weiß Frosch über dieses Skelett?«
»Rein gar nichts. Aber Frosch würde nie was preisgeben, wenn für ihn nichts dabei rausspringt. Was können Sie mir über die Kleine sagen?«
»Sie war weiß, weiblich und zwischen vierzehn und neunzehn Jahre alt.«
»So jung?«
»Ja.«
Im Hintergrund hörte ich Verkehrslärm und nahm an, dass Claudel von der Straße aus anrief.
»Ich besorge mir eine Liste mit vermissten Teenagermädchen. Was ist der Zeitrahmen?«
»Gehen Sie zehn Jahre zurück.«
»Warum zehn Jahre?«
»Ich würde sagen, dass das Opfer mindestens zwei Jahre tot ist, aber anhand von dem wenigen, was wir dort gefunden haben, kann ich Ihnen keine seriöse Obergrenze nennen. Ich habe das Gefühl, dass das eine Umbettung war.«
»Was soll das heißen?«
»Ich glaube, sie wurde woanders begraben, dann wieder ausgebuddelt und zu dem Platz geschafft, wo wir sie gefunden haben.«
»Warum?«
»Wieder eine sehr intelligente Frage, Detective Claudel.«
Ich berichtete ihm von dem chirurgischen Implantat.
»Und was hat das zu bedeuten?«
»Wenn ich es herausgefunden habe, lasse ich es Sie wissen.«
Ich hatte kaum den Hörer aufgelegt, als es schon wieder klingelte. Ich schaute auf die Uhr. Carolyn Russell hatte um drei Zeit für mich. Wenn die Parkplatzgötter mir wohlgesinnt waren, konnte ich das schaffen.
Ich schrieb die Fallnummer auf den Deckel eines Plastikbehälters und legte das Implantat hinein. Dann schaute ich kurz bei Bergeron vorbei, um ihm zu sagen, dass er den Schädel haben könne, lief zu meinem Auto und raste durch die Stadt.
Das Royal Victoria Hospital wurde vor der Jahrhundertwende erbaut. Der ausgedehnte Komplex aus grauem Stein liegt im Herzen von Montreal und thront über dem McGill-Campus wie ein mittelalterliches Schloss auf einem Hügel in der Toscana.
Am Peel-Ende befindet sich das Allan Memorial Institute, das berüchtigt ist für die Drogenexperimente, die die CIA dort in den Fünfzigerjahren durchgeführt hatte. Das Montreal Neurological Institute liegt im Osten des Royal Victoria, auf der anderen Seite der Rue Université. Die Lehr- und Forschungseinrichtungen der McGill, das MNI, das Neurological Hospital und das neue Brain Tumor Research Institute kleben förmlich am Football-Stadion, einem Wahrzeichen aus Ziegeln und Mörtel für die neuen Prioritäten einer modernen Universität.
Das Neuro, wie Forschungsinstitut und Krankenhaus genannt werden, wurde in den Dreißigern von Wilder Penfield gegründet.
Obwohl ein brillanter Wissenschaftler und Neurochirurg, war Penfield kein Visionär der Verkehrsregelung. Die Parkplatzsituation dort ist ein Alptraum.
Dr. Russells Vorschlag folgend, fuhr ich auf das Gelände des Royal Victoria, zahlte zehn Dollar und fing an, den Parkplatz abzukurven. Ich war bei meiner dritten Runde, als ich aufleuchtende Bremslichter entdeckte. Ein Audi fuhr aus einer Lücke, und ich gab Gas und zwängte mich hinein, was es mir ersparte, FM 88,5 einzuschalten, um mich über die aktuelle Parkplatzsituation zu informieren. Meine Uhr zeigte fünf vor drei.
Verschwitzt und keuchend von meinem Spurt über die Avenue des Pins und meiner Wanderung durch das Krankenhaus kam ich in Dr. Russells Büro an. Es hatte angefangen zu nieseln, und meine Haare hingen mir feucht und schlaff in die Stirn. Als die Ärztin den Kopf hob, huschte ein Zweifel über ihr Gesicht.
Ich stellte mich vor, und sie stand auf und gab mir die Hand. Sie hatte graue, kurz geschnittene und seitlich gescheitelte Haare. Ihr Gesicht zeigte tiefe Falten, aber ihr Griff war fest wie der eines Mannes. Ich schätzte sie auf Mitte sechzig.
»Tut mir Leid, dass ich mich verspätet habe.
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