Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
ihre Liebe für ihre Familie. Ein Onkel erwähnte ihre Leidenschaft für Waffeln. Ihre Lehrerin beschrieb sie als begeisterte Schülerin und las den Aufsatz vor, mit dem sie einen Preis gewonnen hatte. Eine Klassenkameradin rezitierte ein von Emily Anne selbst verfasstes Gedicht.
Weitere Hymnen. Die Kommunion. Die Gläubigen stellten sich an und kehrten dann auf ihre Plätze zurück. Unterdrücktes Schluchzen. Die Aussegnung des Sargs. Leises Weinen von Mrs. Toussaint.
Schließlich drehte der Priester sich der Gemeinde zu, bat Emily Annes Schwestern und Klassenkameradinnen zu sich und setzte sich auf die Altarstufen. Einen Augenblick lang herrschte absolute Stille, dann hörte man geflüsterte Befehle und elterliche Ermutigungen. Eins nach dem anderen standen die Kinder auf und gingen ängstlich zum Altar.
Was der Priester sagte, war nicht sonderlich originell. Emily Anne ist im Himmel bei Gott. Sie ist mit ihrem Vater wieder vereint. Eines Tages werden auch ihre Mutter und ihre Schwester zu ihr gehen, wie alle anderen Anwesenden.
Doch was der junge Priester als Nächstes tat, war in der Tat originell. Er sagte den Kindern, dass Emily Anne glücklich sei und dass wir mit ihr feiern sollten. Er gab seinen Ministranten ein Zeichen, die daraufhin in der Sakristei verschwanden und mit einem riesigen Bündel Luftballons zurückkehrten.
»Diese Ballons sind mit Helium gefüllt«, erklärte der Priester. »Das lässt sie fliegen. Ich will, dass jeder von euch einen nimmt, und dann gehen wir alle mit Emily Anne hinaus. Wir verabschieden uns mit einem Gebet von ihr, und dann lassen wir unsere Ballons in den Himmel aufsteigen. Emily Anne sieht sie und weiß, dass wir sie lieben.«
Er sah in die ernsten kleinen Gesichter.
»Ist das eine gute Idee?«
Alle nickten.
Der Priester stand auf, entwirrte die Schnüre, drückte jedem Kind einen Ballon in die kleine Hand und führte sie dann die Stufen hinunter. Der Organist stimmte Schuberts Ave Maria an.
Die Sargträger traten an den Sarg, hoben ihn auf, und die Prozession bewegte sich auf die Tür zu. Die Reihen leerten sich, während die Trauernden sich anschlossen. Mrs. Toussaint stand, gestützt von der Sängerin, hinter ihren Töchtern.
Auf den Kirchenstufen blieb ich stehen. Die graue Wolkendecke war aufgerissen, jetzt zogen weiße Haufenwolken über den Himmel. Während ich zusah, wie die Ballons in die Höhe stiegen, spürte ich einen so heftigen Schmerz wie noch nie in meinem Leben.
Ich zögerte noch einen Augenblick, stieg dann langsam hinunter, und während ich mir die Tränen von den Wangen wischte, erneuerte ich den Schwur, den ich am Tag von Emily Annes Tod geleistet hatte.
Ich würde diese wahllos um sich schießenden Schlächter finden und sie dorthin schicken, wo sie nie mehr ein anderes Kind töten konnten. Ich konnte der Mutter die Tochter nicht wieder geben, aber ich würde ihr diesen kleinen Trost gewähren.
Dann überließ ich Emily Anne jenen, die sie liebten, und fuhr in die Parthenais, um mich in die Arbeit zu vertiefen.
Im Institut erfuhr ich, dass die Carcajou-Ermittler bereits die Namen der Skelette von St.Basile herausgefunden hatten. Felix Martineau, siebenundzwanzig, und Robert Gately, neununddreißig, fuhren mit den Tarantulas, einem inzwischen nicht mehr existenten Outlaw-Club, der aber in den Siebzigern und Achtzigern in Montreal sehr aktiv gewesen war. Gately war Vollmitglied gewesen, Martineau Aufnahmekandidat.
Am Abend des 24. August 1987 hatten die beiden Gatelys Wohnung in der Rue Hochelaga verlassen, um zu einer Party zu fahren. Gatelys Lebensgefährtin kannte weder Namen noch Adresse des Gastgebers. Keiner von beiden wurde je wieder gesehen.
Ich verbrachte den Tag mit den Knochen aus dem Doppelgrab, ordnete sie zwei Individuen zu und bestimmte Alter, Geschlecht, Rasse und Größe. Schädel- und Beckenformen bestätigten, dass beide Opfer männlich waren. Die Unterschiede in Alter und Größe machten das Sortieren beträchtlich einfacher als bei den Zwillingen.
Nachdem ich mit den Schädeln und Kiefern fertig war, gab ich sie Marc Bergeron für eine odontologische Analyse. Ich ging davon aus, dass auch diese Arbeit problemlos sein würde, da beide umfangreiche Zahnbehandlungen gehabt hatten.
Das größere Opfer hatte einen gut verheilten Bruch des Schlüsselbeins. Ich fotografierte eben die Verletzung, als Bergeron mein Labor betrat. Der Zahnspezialist war einer der merkwürdigst aussehenden Männer, die ich kannte, mit
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