Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
wilden, löwenzahngelben Haaren und dürren Spinnenbeinen. Es war unmöglich, sein Alter zu schätzen, und keiner im Institut schien es zu kennen.
Bergeron wartete, bis ich mit dem Fotografieren fertig war, und bestätigte dann die Identifikationen.
»Wie haben Sie die Unterlagen so schnell bekommen?«
»Von zwei sehr kooperativen Zahnärzten. Und zum Glück für mich legten die Verstorbenen Wert auf den Zustand ihrer Zähne. Zumindest Gately. Schlechte Zähne, viele Wiederherstellungen. Martineau war weniger gewissenhaft, aber er hatte einige Besonderheiten, die seine Identifikation zu einem Kinderspiel machten. Der große, böse Biker lief mit vier Milchzähnen im Mund herum. Das ist ziemlich selten in seinem Alter.«
Ich schaltete das Licht am Fototisch aus.
»Haben Sie mit dem dritten Opfer schon angefangen?«, fragte Bergeron.
»Noch nicht, aber ich kann das hier auch später fertig machen. Sollen wir es uns ansehen?«
Ich wollte mir schon den ganzen Vormittag den dritten Satz Knochen ansehen, und Bergeron lieferte mir jetzt einen guten Vorwand dafür.
»Unbedingt.«
Ich legte das Schlüsselbein zu dem Skelett auf der linken Seite meines Arbeitstischs.
»Wer ist wer?«, fragte ich und deutete auf die Knochen.
Bergeron beugte sich über seine Schale, kontrollierte zunächst die Ziffern, die er auf die Hinterhauptbeine geschrieben hatte, dann die auf den Kärtchen, die ich neben jedes Skelett gelegt hatte, und ordnete anschließend die Schädel entsprechend zu. Mit seinem knochigen Arm deutete er auf das Opfer mit dem gebrochenen Schlüsselbein.
»Monsieur Martineau.«
Dann wies er auf den Herrn zu seiner Rechten.
»Und Mr. Gately.«
»War Gately anglophon?«
»Ich vermute es, weil sein Zahnarzt kein Wort Französisch spricht.«
»Von denen gibt’s aber nicht viele bei den motards.«
»Ich kenne keinen«, entgegnete Bergeron.
»Überbringen Sie Quickwater und Claudel die gute Nachricht?«
»Ich habe schon angerufen.«
Ich ging zu den Lagerregalen und zog den Karton mit dem dritten Opfer von St. Basile hervor. Da die Überreste mit Erde verkrustet waren, hängte ich ein Sieb ins Waschbecken, legte sie hinein und ließ warmes Wasser darüber laufen.
Die langen Knochen ließen sich leicht reinigen, ich legte sie deshalb auf das Abtropfblech und fing an, den Schlamm von der Außenseite des Schädels zu bürsten. Sein Gewicht sagte mir, dass das Schädelinnere mit Erde gefüllt sein musste. Als die Gesichtspartie sauber war, drehte ich den Schädel um und ließ Wasser über die Basis laufen. Dann ging ich an meinen Schreibtisch, um eine Identifikationskarte auszufüllen.
Als ich zum Becken zurückkehrte, hatte Bergeron den Schädel in den Händen und drehte das Gesicht zuerst nach oben und dann zur Seite. Er starrte ihn lange an und sagte dann: »O mein Gott.«
Als er mir den Schädel gab, wiederholte ich zuerst seine Bewegungen und dann seinen Ausruf.
»O mein Gott.«
11
Ein Blick genügte, und ich wusste, dass ich mich getäuscht hatte. Die glatte Stirn und der ebenso glatte Hinterkopf, die feinen Wangenknochen und die kleinen Warzenfortsätze sagten mir, dass Kandidat Nummer drei eindeutig meines Geschlechts war.
Ich holte meine Schublehre und vermaß einen der Knochen, die auf dem Abtropfblech lagen. Der Femoraliskopf ist ein kugelförmiges Gebilde, das in eine Pfanne im Beckenknochen passt und mit ihr das Hüftgelenk bildet. Dieser hatte einen Durchmesser von nur neununddreißig Millimetern, womit er eindeutig in der weiblichen Bandbreite lag.
Außerdem war das Opfer jung gewesen. Oben auf der Kugel entdeckte ich eine gezackte Linie, was darauf hindeutete, dass die Wachstumsfuge zum Zeitpunkt des Todes nur unvollständig geschlossen war.
Ich wandte mich wieder dem Schädel zu. Gezackte Linien trennten die einzelnen Knochen. Ich drehte den Schädel, um mir die Basis anzusehen. Kurz vor dem Foramen magnum, dem Hinterhauptsloch, durch das das Rückenmark den Schädel verlässt, war eine Lücke zwischen dem Keilbein und dem Hinterhauptsbein.
Ich zeigte sie Bergeron.
»Das war ein junges Mädchen«, stellte ich fest. »Wahrscheinlich ein Teenager.«
Er sagte etwas, was ich aber nicht verstand. Eine Unregelmäßigkeit im rechten Scheitelbein fesselte meine Aufmerksamkeit. Vorsichtig fuhr ich mit dem Finger darüber. Ja, da war etwas.
Behutsam, um nichts zu beschädigen, hielt ich den Schädel unter den Wasserhahn und löste die Erde mit einer weichen Zahnbürste. Bergeron sah zu, wie
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