Lasst uns ueber Liebe reden
Zimmer, weil die meisten seiner
Gedichte zu Hause entstanden. Außerdem kam man von der
Constance-Billard-Schule, die auf der East Side an der 93. Straße lag, quer
durch den Central Park direkt zur Ecke 99. Straße und West End Avenue, wo die
Hum- phreys wohnten.
»Dein
T-Shirt könntest du auch noch ausziehen«, schlug Vanessa vor. »Poesie in der
Mache« sollte den künstlerischen Schaffensprozess illustrieren und aufzeigen,
dass das, was im endgültigen Werk nicht sichtbar ist, ebenso wichtig ist wie
das, was zu sehen ist. Vanessa wollte Dan dabei aufnehmen, wie er immer wieder
frustriert Seiten aus seinem Notizbuch reißt, zerknüllt und durchs Zimmer
wirft. Die Zuschauer sollten mit eigenen Augen miterleben, dass Dichten - wie
überhaupt jede künstlerische Ausdrucksform - nicht nur eine geistige, sondern
auch eine sehr körperliche Betätigung ist. Außerdem hatte Dan so niedliche
kleine Muskeln im Rücken, die Vanessa unbedingt mal filmen wollte.
Dan stand
auf, zog sich bereitwillig das schwarze T-Shirt über den Kopf und warf es auf
sein ungemachtes Bett, wo bereits Marx lag, der verfettete Familienkater der
Humphreys. Er döste auf dem Rücken und sah aus wie ein gestrandeter, stark
behaarter Wal. Die Wohnung, in der Dan mit seinem Vater, Rufus Humphrey, dem
Verleger weniger bekannter Beat-Poeten, und seiner jüngeren Schwester Jenny
hauste, war extrem unaufgeräumt und baufällig. Vor allem war sie durchgehend
mit Katzenhaaren und Staubmäusen kontaminiert. Es war eine weitläufige,
sonnendurchflutete Altbauwohnung mit hohen Decken, die allerdings seit über
zwanzig Jahren nicht mehr gründlich auf Vordermann gebracht worden war. Die rissigen
Wände dürsteten nach frischer Farbe, und da alle drei Humphreys selten etwas
wegwarfen, waren die durchgesessenen Sofas und der ausgetretene Dielenboden
mit uralten Zeitungen, Zeitschriften, längst vergriffenen Büchern,
unvollständigen Kartenspielen, leeren Batterien und stumpfen Bleistiften
übersät. Goss man sich eine Tasse Kaffee ein, schwamm unweigerlich ein
Katzenhaar darin. Übrigens ein Problem, mit dem sich Dan ständig konfrontiert
sali, weil er schwer koffeinabhängig war.
»Soll ich
in die Kamera gucken?« Dan setzte sich auf seinen schäbigen Bürostuhl aus Holz
und drehte sich zu Vanessa um. »Ich könnte mir das Notizbuch doch auch auf die
Knie legen und so schreiben. Soll ich?« Er machte es ihr vor.
Vanessa
kauerte sich vor ihn hin und schielte durch die Linse. Sie trug unter dem
grauen Faltenrock ihrer Schuluniform schwarze Strumpfhosen und der borstige
Zottelteppich pikste. »Ja, das ist sehr gut«, murmelte sie. Ah, wie blass und
glatt Dans Brust war! Man sah deutlich jede einzelne Rippe und auch die hübsche
Linie aus hellbraunem Pfirsichflaum, die sich vom Nabel abwärts in tiefere
Regionen zog! Vanessa rutschte auf Knien zentimeterweise vor, um Dan so nah wie
möglich zu filmen, ohne den Bildausschnitt zu ruinieren.
Dan knabberte an seinem Stift, lächelte in sich hinein und
schrieb schließlich: sie rasiert sich den schädel, läuft nur in
schwarz rum, bräuchte dringend neue springerstiefel und findet schminke
scheiße, aber sie ist eines dieser mädchen, die an dich glanben und heimlich
dafür sorgen, dass dein bestes gedieht im new yorker erscheint, man könnte
wahrscheinlich sagen, dass ich sie liebe.
Wahrscheinlich
konnte man auch sagen, dass das so ungefähr das Schnulzigste war, was er je
geschrieben hatte, aber es war ja auch nicht für seine »Gesammelten Werke«
bestimmt.
Vanessa
kroch noch ein Stück näher, um Dans Knöchel zu filmen, die weiß anliefen, weil
er so fieberhaft schrieb. »Was schreibst du denn?« Sie schaltete den Ton an der
Kamera ein.
Er sah auf
und grinste sie durch seine unordentlichen Haarsträhnen mit leuchtenden Augen
an. »Kein Gedicht, bloß einen kleinen Text über dich.«
Vanessa
spürte, wie ihr am ganzen Körper warm wurde. »Lies mal vor.«
Dan
kratzte sich verlegen am Kinn und räusperte sich. »Okay, sie rasiert sich den schädel...«, begann er und las ihr den
kurzen Abschnitt ganz vor.
Vanessa
wurde beim Zuhören rot. Sie legte die Kamera ab, kroch auf Knien zu Dans Stuhl,
schob das Notizbuch zur Seite und schmiegte ihren Kopf in seinen Schoß.
»Wir reden
die ganze Zeit über Sex, aber wir haben es noch nie getan«, wisperte sie und
ließ ihre Lippen über den rauen Baumwollstoff seiner natogrünen Cargohose
wandern. »Wie wär's mit jetzt?«
An ihrer
Wange spürte sie, wie Dan den
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