Last days on Earth
»Eine
Weltuntergangsmaschine. Karla, das klingt wie in einem schlechten Film.«
Karla rieb sich über den Nacken und stöhnte leise. »Ich gebe auf.
Raoul, wir stecken so fest, dass wir irgendwelche absurden Theorien entwickeln.
Sollten wir uns nicht endlich eingestehen, dass wir keinen Schritt weiter sind
als vor fünf Monaten und wahrscheinlich auch nicht mehr weiter kommen werden?
Sämtliche Spuren führen ins Nirgendwo.«
Raoul stützte das Kinn auf die Hand. »Was schlägst du vor?«
»Ich an deiner Stelle würde Tora-san den Abschlussbericht und meine
Rechnung präsentieren.« Karla erhob sich und rieb über die Narben an ihren
Armen, die zu jucken begannen. »Ich muss zur Villa. Bin gespannt, was Maurizio
zu der seltsamen Essentia sagt, die ich ihm mitbringe.« Sie grinste schief.
Raoul blickte auf die Notizen, die auf dem niedrigen Tisch verstreut
lagen. »Also geben wir auf?«
»Wir geben auf.«
Â
12. 19. 19. 12. 15.
Das Telefonat mit Tora war ungewöhnlich vage verlaufen.
Sie hatte sich alles erklären lassen und zum Abschluss nur gesagt: »Ich melde
mich bei dir, Raoul. Dein Auftrag ist noch nicht beendet.« Ehe er nachfragen
konnte, was sie damit meinte, hatte sie schon aufgelegt.
Raoul räumte die Zettel und Notizen zusammen und legte sie auf den
Schreibtisch. Sein Schädel brummte, eine Nachwirkung des gestern allzu
reichlich genossenen Alkohols. Er dachte an Quass. Raoul hatte den Drachen noch
nie betrunken erlebt â bisher war er sogar der festen Ãberzeugung gewesen, dass
so etwas vollkommen auÃerhalb der Möglichkeiten der Drachenphysiologie lag. Es
war doch erstaunlich, was er alles über seinen ältesten und besten Freund nicht
zu wissen schien.
Karla kam mit einer Einkaufstüte in der Hand herein. »Ich habe
dir alles weggefuttert«, sagte sie.
Mit einem kurzen, heftigen Stich wurde ihm bewusst, dass ihre
Zusammenarbeit wahrscheinlich vorüber war. Wenn sie sich einen Job suchte, wenn
sie dafür in eine andere Stadt zog, würde er sie nicht mehr sehen.
Raoul schluckte die Heiserkeit hinunter, die seine Kehle rau machte,
und erzählte ihr von seinem Gespräch mit Tora.
Karla lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Kühlschrank. Ihr
Gesicht war so verschlossen wie eine Mauer. »Ich bin aus dem Spiel«, sagte sie.
»Es ist mir wirklich gleichgültig, was du mit Tora noch ausheckst. Viel
Erfolg.«
Sie nahm ihren Rucksack vom Stuhl und zog etwas heraus, das in ein
Taschentuch gewickelt war. »Hier, schlieà das in deinen Safe und gib es Quass
bei der nächsten Gelegenheit zurück.«
Er wog das Taschentuch in der Hand und fühlte die Steine, die sich
darin bewegten. Das Collier. Er hatte es vergessen und Quass wahrscheinlich
auch. Sie hätte es einfach behalten können, und kein Hahn hätte mehr danach
gekräht.
»Ich habe in der Villa angerufen, Santo schickt jemanden, der mich
abholt«, sagte Karla. »Rufst du mich, wenn es bei dir klingelt? Und darf ich
dich daran erinnern, dass du meine Türklingel reparieren lassen wolltest?«
Raoul sah ihr nach, als sie hinausging. Das bedeutete, er würde den
Abend alleine verbringen, denn Karla pflegte zu diesen Gelegenheiten in der
Villa zu übernachten.
Er räumte die Spülmaschine ein und stellte sich vor, wie der
hübsche, dunkelgelockte Maurizio sich über Karla beugte und ihr Blut und ihre
Essentia aufsaugte. Die Türklingel riss ihn aus seinen Gedanken. Raoul
trocknete sich die Hände ab und ging zur Tür.
Vor ihm stand ein anderer dieser hübschen, alterslosen
Vampirjünglinge â blass, mit dunkler Brille und mittelblondem, kinnlangem Haar.
Raoul musterte ihn missvergnügt.
»Entschuldigen Sie die Störung. Mir wurde gesagt, dass ich Karla van
Zomeren hier â¦Â«, begann der Nachtgeborene.
»Oben«, sagte Raoul kurz. »Kommen Sie rein, ich rufe sie.«
Der Mann trat ein und blieb an der Tür stehen. Raoul nahm das
Telefon und lieà es klingeln. »Dein Chauffeur«, sagte er, als Karla sich
meldete.
Er legte auf und sah den Vampir an. Gut gekleidet, wie alle, die er
bisher kennengelernt hatte. Höflich, gut erzogen, still. Raoul seufzte. »Setzen
Sie sich. Karla packt wahrscheinlich noch ihre Tasche.«
Der Vampir folgte seiner Einladung und nahm seine Sonnenbrille ab,
dann musterte er Raoul intensiv mit dunklen
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