Last Exit
viele Agenten aus dem Westen zurückgerufen, die dort als Geschäftsleute, Akademiker und Journalisten gelebt hatten. Er war dagegen und hat sich dafür von Jia Chunwang, dem Minister für Staatssicherheit, einen halböffentlichen Tadel eingefangen. Danach ist Zhu praktisch aus den Aufzeichnungen verschwunden. Seine Dienststelle ist nur eine unbedeutende Filiale des Sechsten Büros, und unsere Frau vor Ort kann uns nicht mal was Genaues über den Umfang des Aufgabenbereichs sagen. Ohne Marko Zubenko würden wir einfach davon ausgehen, dass Zhus Dienststelle für Regionalpolitik zuständig ist.«
»Mir will das trotzdem nicht in den Kopf«, antwortete Milo. »Da hätten wir Xin Zhu. Offenbar jemand auf dem politischen Abstellgleis. Ein schwerer Trinker mit einer Schwäche für Frauen. Nicht nur das, er gibt auch streng vertrauliche Informationen an einen Niemand weiter – an einen ukrainischen Leutnant, der kurz darauf überläuft. Außerdem hat er auch noch einen lüsternen Sekretär, der den Mund nicht halten kann. Wie wird ein Mann mit so vielen Fehlern zum Oberst, und noch dazu einer, der einen Maulwurf in unsere Abteilung eingeschleust hat?«
»Sie sind nicht der Einzige, der solche Fragen stellt.« Drummond sinnierte kurz. »Das hat auch schon der Tourist angesprochen, der sich als Erster mit Zubenko unterhalten hat. Das führt mich zu einer anderen Theorie, die mir immer mehr einleuchtet. Dass Zhu am Ende ist. Nach der Demütigung Mitte der Neunziger ist er bitter geworden. Der Maulwurf wäre also nicht von ihm. Er untersteht einem seiner Konkurrenten, und er sabotiert den Doppelagenten, um die Karriere dieses Rivalen zu blockieren. «
»Dann hätte er den Betrunkenen also nur gespielt. Und die Indiskretionen des Sekretärs wären ebenfalls falsch. Das hieße, er weiß, dass die Frau für uns arbeitet.«
»Oder auch nicht«, entgegnete Drummond. »Das können wir nicht sagen. Marko jedenfalls würde den Unterschied nicht erkennen. Unbestreitbar ist auf jeden Fall, dass dieser chinesische Oberst Informationen weitergegeben hat, über die er nur verfügen kann, wenn er irgendeine Verbindung zum Tourismus hat. Wissen Sie, was die größte Bedrohung für den Tourismus ist?«
»Abgesehen von einem Maulwurf?«
Unwillig schüttelte Drummond den Kopf. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Ein Maulwurf wäre ein schwerer Schlag. Trotzdem, wir könnten uns umorganisieren und neu aufstellen. Myrrhe ist eine radikale Entscheidung, aber auch die sicherste. Alle zurückholen, neue Namen und Codes verteilen, den Verwaltungsstab austauschen. Das Entscheidende für uns ist lediglich, dass nichts nach außen dringt. Ich habe Ascot bereits versichert, dass wir Markos Geschichte widerlegt haben, und wenn er jetzt davon Wind bekommt, dass wir tatsächlich zur Jagd auf einen Maulwurf blasen, macht er unseren Laden im Handumdrehen dicht.« Er starrte Milo bedeutungsvoll an. »Alles, was wir von jetzt an unternehmen, muss unter uns bleiben.«
»Verstanden.«
Drummond kaute wieder an seiner Zunge. »Ein Maulwurf täte uns zwar weh, aber der Tourismus könnte überleben. Das ist nicht die größte Bedrohung für uns. Die größte Bedrohung für den Tourismus ist das Wissen um seine Existenz.«
»Ein Wissen, das die Chinesen haben. Und ein ukrainischer Leutnant.«
»Sie sind nicht die Einzigen. Die Franzosen ahnen was, und auch die Briten. Im Internet gibt es Webseiten, die über uns spekulieren. Und das ist in Ordnung so. Im Augenblick ist der Tourismus ein Mythos. Ein Mythos, den die Leute entweder für Quatsch halten oder glauben. Und die Gläubigen haben Angst vor uns, weil ein Mythos viel schrecklicher ist als die Realität.«
Endlich löste er sich von der Veranda, und Milo folgte ihm zum Wagen. Er bewegte sich langsam, und Milo musste seine Schritte genau abwägen, um nicht mit ihm zusammenzustoßen.
»Was meinen Sie, was passieren würde, wenn jemand mit handfesten Beweisen für unsere Existenz auftauchen würde? Strengen Sie sich nicht an – ich sage es Ihnen. Es würde eine Untersuchung geben. Hochoffiziell. Senatoren und Abgeordnete würden Fragen stellen. Sie würden sich dafür interessieren, wie viel wir kosten. Und wir beide wissen, dass die Antwort darauf peinlich ist. Eine furchterregende Fabel, die sich Spione nachts zuflüstern, würde sich in eine von vielen allzu kostspieligen Abteilungen der Company verwandeln, deren Fehler regelmäßig in die Schlagzeilen geraten. Wir würden genauso zum Witz werden
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