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Last Exit

Last Exit

Titel: Last Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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zappte sich durch mehrere Fernsehkanäle und blieb auf CNN hängen, wo der dreiundvierzigste Präsident der Vereinigten Staaten
in Daressalam, Tansania, von der Presse gestellt worden war. Auf die Frage eines Reporters antwortete Bush: »Die Kosovaren sind jetzt unabhängig.«
    Offenbar waren Drummonds Gespräche gut gelaufen.
    Kurz schoss ihm durch den Kopf, was wohl Radovan von dem Ganzen hielt. Wahrscheinlich würden er und seine Freunde einem gewissen Nationalismus erliegen, da mit Kosovo der Geburtsort der serbischen Orthodoxie auf dem Spiel stand. Doch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Die Serben hatten den Kampf verloren, und Milo musste zwanzig Millionen Dollar einsammeln.
    Um ein Uhr morgens machte er das Zimmer sauber und warf seine wenigen überzähligen Kleidungsstücke und Toilettenartikel in die Mülltonne des Hotels. Ehe er den Hotelschlüssel abgab, nahm er zwei Dexedrin.
    In seiner Mietgarage in einem nördlichen Vorort von Lugano zündete er sich die erste Davidoff des Tages an. Sein Blick ruhte auf den Ölgemälden. Degas’ Graf Lepic und seine Töchter , Monets Mohnfeld bei Vétheuil , van Goghs Blühende Kastanienzweige und Cézannes Knabe in roter Weste.
    Bei der Entscheidung ging es nicht darum, welche Bilder nach Milos Ansicht überleben sollten, sondern darum, welche Bilder dem Museum mehr bedeuteten. Alle vier waren Meisterwerke von ähnlichem finanziellem Wert, aber es gab einen Unterschied. Zwei bildeten Landschaften ab, die anderen Menschen. Museumskuratoren und Schadensregler von Versicherungen wussten, dass sich das Publikum mehr für Gesichter interessiert – das entspricht einfach der menschlichen Natur. Daher konnte er ihnen die Natur geben, damit sie in der Hoffnung handelten, auch die Gesichter zu retten.
    Er streifte sich Handschuhe über und lud den Monet
und den van Gogh in die Limousine. Dann ging er wieder hinein, um die anderen zwei zu betrachten. Der Knabe in roter Weste wirkte aus einem bestimmten Winkel wie versteinert, als Milo sein Zippo aus der Tasche nahm. Es musste sein, sagte er sich. Wenn er die Bilder nicht vernichtete, hinterließ er der Polizei Hinweise und setzte sich so einer überflüssigen Gefahr aus. Er dachte an Adriana und das Risiko, das er damit eingegangen war, sie überleben zu lassen. Plötzlich fielen ihm Jewgenis Worte ein. Für den Alten war der Tod des Mädchens eine praktische Notwendigkeit, aber auf die Erwähnung von Kunstraub hatte er mit moralischer Entrüstung reagiert. Du hast gegen den Gesellschaftsvertrag verstoßen, Milo. Was war das für ein Mensch, dem Bilder mehr bedeuteten als das Leben einer Jugendlichen?
    Knapp zwei Stunden später, kurz vor fünf, parkte er gleich um die Ecke des Bührle-Museums vor der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Er wischte den Wagen innen aus, warf den Schlüssel neben das Gaspedal und schloss die Tür. Durch die Flühgasse lief er in westlicher Richtung zum Bahnhof Tiefenbrunnen und fand unterwegs ein Münztelefon außerhalb der Reichweite von Überwachungskameras. Immer noch in Handschuhen, rief er den Namen und die Nummer auf, die ihm Drummond per SMS geschickt hatte. Er wählte.
    Nach sieben Klingeltönen meldete sich eine benommene, gereizte Stimme. »Ja?«
    »Ist dort Jochem Hirsch?«
    »Ja, am Apparat.«
    »Aufwachen, Jochem. Ich habe die Bilder aus dem Bührle-Museum gestohlen.«
    Schweigen, dann die Frage: »Woher haben Sie meine Nummer?«

    »Hören Sie jetzt gut zu. Wenn Sie zur Psychiatrischen Klinik gleich in der Nähe des Museums gehen, finden Sie ein Auto mit italienischen Kennzeichen. In dem Wagen sind der Monet und der van Gogh.«
    »Warten Sie mal …«
    »Ein Zeichen des guten Willens, Jochem. Zwei umsonst. Sie hatten jetzt eineinhalb Wochen, um zu merken, dass Sie die Bilder nicht alleine finden. Sie wissen also, dass es keine andere Möglichkeit gibt. Für den Degas und den Cézanne müssen Sie zahlen. Zwanzig Millionen US-Dollar. «
    »Zwanzig Millionen? Ich kann unmöglich …«
    »Sie machen ein gutes Geschäft, Jochem. Die Bilder sind viel mehr wert.«
    Jochem Hirsch überlegte angestrengt. Im Hintergrund fragte eine Frauenstimme: »Mit wem redest du?«
    »Schsch«, kam seine Antwort.
    Als er weitersprach, brachte er etwas Naheliegendes zum Ausdruck. »Zwanzig Millionen ist mehr, als Sie dafür bekommen würden, das wissen Sie. Sie sind zu berühmt – niemand würde bei dem Risiko so viel dafür ausgeben.«
    »Ich habe kein Interesse daran, sie zu verkaufen, Jochem.

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