Last Exit
wiedersehen, sagen Sie mir Bescheid. Verstanden?«
»Klar. Das ist eine gute Nachricht.«
»Gut?«
»Wenn mich die Deutschen beschattet haben, dann ist ein chinesischer Maulwurf genauso wahrscheinlich wie noch vor zwei Tagen.«
»Das heißt, dass wir noch überlegen, Hall. Und das heißt, dass Sie weiter überpüfen.«
Nachdem er ein Aspirin, eine Multivitamintablette und zwei Nicorette geschluckt hatte – das Dexedrin hatte er weggeworfen –, verließ er das Hotel. Gegen ein Trinkgeld besorgte ihm der Türsteher ein Taxi, und auf der Fahrt zum Flughafen spukten ihm halb geträumte Bilder von James Einner und seinen zwei Gespielinnen durch den Kopf.
Seit dem letzten unbeholfen verzweifelten Versuch mit Tina im Oktober hatte Milo nicht mehr mit einer Frau geschlafen. In einem Winkel seines Bewusstseins keimte die Frage auf, ob es ein Fehler gewesen war, sich eine Nacht mit gedankenlosem Sex entgehen zu lassen, und sei es auch nur, weil er nichts investieren musste: ein geradliniger Verlauf, an dessen Ende der Orgasmus winkte. Im Gegensatz zu dem Versuch im Oktober hätte es vielleicht sogar Spaß gemacht.
Spaß.
Du bist der unglücklichste Tourist, den wir haben.
Auf der M4 bebte sein Telefon, und er las sich die Instruktionen für Warschau durch.
Er kam gerade noch rechtzeitig, um den British-Airways-Flug um zwanzig nach acht zu erreichen, und als er kurz vor Mittag auf dem Frédéric-Chopin-Flughafen landete, war ihm fast schlecht vor Hunger. Der Beamte, der diese Außengrenze des Schengen-Raums bewachte,
überprüfte den Sebastian-Hall-Pass ein wenig genauer, als Milo es gewohnt war. Doch letztlich war das Ergebnis das gleiche. »Geschäft oder Tourismus?«
Die Antwort ging ihm über die Lippen, ohne dass er lange nachdenken musste.
Er kaufte sich eine Flasche Cola und ein Käsesandwich, das er gierig verschlang, bevor er an den Schalter der Avis-Vermietung trat. Im dichten Verkehr auf dem langen Weg in die Stadt trank er das Cola zu schnell, und es brannte in der Kehle. Wenigstens wurde er davon wach.
Zuletzt war er 2000 in Warschau gewesen, zu einer Zeit, da er noch als Charles Alexander bekannt war. Entgegen der Überzeugung Einners und anderer war sein Handeln damals mehr von Angst und selbstmörderischer Verwegenheit bestimmt als von Leistungsfähigkeit und Zielstrebigkeit. Um sich irgendwie über Wasser zu halten, nahm er Drogen aller Art: Pillen, Pulver und gelegentlich auch eine Nadel. Dabei hatte er das Gefühl, den Körper eines anderen zu missbrauchen.
Dann fiel ihm ein, was ihn 2000 nach Warschau geführt hatte, und er begriff, warum er letzte Nacht das Zimmer verlassen hatte. Er empfand kindischen Stolz und war sicher, dass die Eheberaterin Dr. Ray beindruckt gewesen wäre von seiner Selbstwahrnehmung.
Damals war er ins Hotel Bristol gefahren, um einem libanesischen Verräter Informationen abzukaufen. Die israelische Besatzung des Südlibanon war gerade zu Ende gegangen, und beim unvermeidlichen internen Stühlerücken, das nun folgte, fürchtete der Mann um seine Position. Also verkaufte er Bruchstücke seiner umfassenden Bibliothek von Geheimnissen an die Amerikaner, Briten und Israelis, um sich in den Ruhestand verabschieden zu können.
Die Transaktion ging glatt über die Bühne, und am Ende flog plötzlich die Tür zum anderen Zimmer der Suite auf, und zwei polnische Prostituierte tänzelten mit Champagner herein. Der Libanese grinste: Er hatte eine Party arrangiert, um die neue Kooperation zu feiern.
Milo sträubte sich nicht, und irgendwie machte es auch Spaß, allerdings war er so von sich abgespalten, dass das Vergnügen ziemlich eingeschränkt war. Anfang des folgenden Jahres erfuhr er dann, dass der libanesische Verräter sechs Monate nach ihrem Treffen auf einer Cannabis-Farm am nördlichen Ende des Bekaa-Tals mit aufgeschlitzter Kehle und abgeschnittener Zunge entdeckt worden war. Dieses Bild hatten die Frauen letzte Nacht in ihm ausgelöst, und er hatte sich eingebildet, dass Einner eine ähnliche Verstümmelung drohte.
Was halten Sie davon, Dr. Ray?
Allmählich drang er in die Stadt vor, die offenen Felder und verrußten Gebäude wichen immer mehr moderner Nachkriegsarchitektur. Erst kurz nach zwei meldete er sich in dem riesigen Marriott-Turm an – er hatte nicht den Wunsch, das Bristol wiederzusehen. Eigentlich hätte er sofort mit der Überprüfung von Zubenkos Warschauer Informationen beginnen müssen, doch er beschloss, sich den Rest des Tages freizunehmen. In
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