Last Exit
hast du gesagt.«
»Das war eine Lüge, James. So was wie das Schwarze Buch des Tourismus gibt es nicht.«
Sinnierend wiegte Einner den Kopf hin und her. »Das wird sich zeigen. Jedenfalls habe ich Hinweise gefunden. Ich glaube, es ist in Bern.«
»Was für Hinweise?«
»Denkst du, das erzähl ich dir? Einem Ungläubigen?«
Nach der Legende, auf die alle Touristen irgendwann in ihrer Karriere stießen, hatte ein ehemaliger Tourist einundzwanzig Exemplare des Schwarzen Buchs an geheimen Orten auf der ganzen Welt versteckt. Der Mythos dieser Tourismusbibel nährte den Wunsch jedes Touristen nach einer unverrückbaren Anleitung, die ihm zeigte, wie er überleben konnte, ohne den Verstand und die Moral zu verlieren in einem Beruf, in dem beides ständig auf dem Spiel stand. Bis August letzten Jahres war das Buch tatsächlich nur ein Mythos gewesen.
Angetrieben von einer unleugbaren Sehnsucht, hatte sich Milo im Gefängnis hingesetzt und es selbst geschrieben. Es war nicht lang – rund dreißig Seiten –, aber es fasste alles zusammen, was ein Buch dieser Art seiner Meinung nach enthalten sollte. Später hatte er es handschriftlich in einundzwanzig Schulhefte übertragen und diese im ersten Monat nach seiner Rückkehr in den Tourismus in Europa und Russland verteilt. Später hatte er nach und nach Hinweise auf die einzelnen Verstecke hinterlassen.
Aus Einners Bemerkung, dass er einem Exemplar in Bern auf der Spur war, konnte Milo also genau die Hinweise entnehmen, denen der Tourist bisher gefolgt war. Ein auf die Rückseite eines Grabsteins in Malmö geritzter
Name. In den Unterlagen zu diesem Namen die Adresse eines nicht existenten Patienten des Centre Hospitalier Universitaire, eines Lehrkrankenhauses in Toulouse. An einer Außenwand unter dieser Adresse im Norden Mailands die kaum erkennbare Polyurethanaufschrift MARIANS JAZZROOM. Einner war fast am Ziel. Mit einem Anflug von Verzweiflung fragte sich Milo, was sein Kollege mit dieser Ansammlung von Weisheiten anfangen würde.
Einner war gerade auf der Toilette, als es klopfte. Es war elf Uhr.
»Machst du mal auf?« Einner klang, als wäre es sein Zimmer. »Und erzähl mir bitte nie, dass ich mich nicht rührend um dich kümmere.«
Durch den Spion hatte Milo einen Weitwinkelblick auf zwei Frauen mit Kunstpelzjacken, kurzen Röcken und winzigen Handtaschen. Sie zogen sich nicht nur gleich an, sondern sahen auch gleich aus, und als er öffnete, wurde ihm klar, dass sie tatsächlich Zwillinge waren.
Mit starkem Proloakzent fragte die eine: »Is James da?«
»Komme gleich!« Einners Worte übertönten die Klospülung. »Mach ihnen einen Drink, Sebastian!«
Milo bat sie herein und schnappte sich sein Telefon. Sie schauten sich um, als wären sie noch nie in einem Hotel gewesen, was er ernsthaft bezweifelte.
Eine erspähte das Kokain. »Echt eine Fete nach mei’m Geschmack.«
»Ich hol nur kurz Eis«, sagte Milo.
Sie saßen bereits am Tisch und rollten den Zehnpfundschein zusammen, als er die Tür hinter sich zuzog. Auf dem Weg zum Treppenhaus hörte er Einners Stimme. »Scheiße, wo ist der Kerl?«
Milo trabte weiter bis zur Hotelbar. Plötzlich war ihm
übel, und aus unerfindlichen Gründen hatte er ständig ein Bild von James Einner mit durchgeschnittener Kehle vor Augen. Er trank mehrere Gimlets, um die Vorstellung wegzuspülen. Als er zwei Stunden später zurückkehrte, war das Zimmer leer, aber es stank.
18
Das Telefon weckte ihn um sechs. »Ja?«
»Stattlich und feist.«
»Erschien Buck Mulligan.«
Drummond räusperte sich. »Der Verdacht hat sich wohl bestätigt.«
»Schlechte Nachricht.«
Milo hörte Papiergeraschel auf der anderen Seite der Leitung – wenn er aus New York anrief, war es dort ein Uhr früh. »Sie fahren als Nächstes nach Warschau. Wird ein bisschen dauern.«
»Okay.«
»Kommen Sie mit Einner klar?«
»Wir sind alte Freunde. Aber das wussten Sie natürlich
schon.«
»Tatsächlich?« Nach kurzem Zögern seufzte er. »Hören Sie, ich hab was von einem Bekannten aus Deutschland erfahren.«
»Ein Bekannter? Hat das was mit …«
»Es hat was mit Ihnen zu tun, Hall. Anscheinend ist ihr nationaler Radar doch nicht so schlecht. Irgendjemand vom deutschen Geheimdienst hat nach Ihnen Ausschau gehalten, aber mir wurde versichert, dass sich das inzwischen erledigt hat.«
»Warum haben sie nach mir Ausschau gehalten?«
»Spielt keine Rolle. Ich gehe davon aus, dass Sie keine
Probleme mehr haben. Wenn Sie sie trotzdem
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