Last Lecture - die Lehren meines Lebens
denke ich manchmal, dass ich letztendlich mehr von dem Traum profitierte, den ich nie verwirklichen konnte, als von meinen vielen wahr gemachten Träumen.
Meine Romanze mit dem Football begann, als mein Vater seinen strampelnden und schreienden Sohn zur Anmeldung in einen Verein zerrte. Ich hatte nicht den geringsten Wunsch, dort mitzumachen. Ich war von Natur aus ein Schwächling und außerdem weit und breit der Kleinste. Als dann auch noch Coach Jim Graham vor mir stand, ein schwergewichtiger 1,90-Meter-Turm, verwandelten sich meine Befürchtungen endgültig in ehrfürchtige Angst. Er war Linebacker im Team der Pennsylvania State University gewesen und wahrlich ein Sportler alter Schule: Vorwärtspässe hielt er zum Beispiel für ideenlose Spielzüge.
Am ersten Trainingstag standen wir allesamt Todesängste aus. Außerdem hatte Coach Graham keinen einzigen Football mitgebracht. Ein Junge traute sich schließlich: »Entschuldigung, Coach, es gibt keine Bälle!«
Coach Graham erwiderte: »Wir brauchen keine Bälle.«
Es herrschte lautes Schweigen, als wir darüber nachdachten …
»Wie viele Männer sind gleichzeitig auf dem Feld?«, fragte er.
»Elf pro Team«, erklärten wir, »also zweiundzwanzig.«
»Und wie viele Leute berühren den Ball gleichzeitig?«
»Einer.«
»Richtig!«, sagte er. »Also gehen wir an die Arbeit und tun das, was die anderen einundzwanzig Burschen tun.«
Basics. Das war das große Geschenk, das Coach Graham uns machte. Er lehrte uns die Basics, Basics, Basics. Als Professor begriff ich, wie vielen Kindern diese Lektion nie erteilt wurde - und das immer zu ihrem Nachteil, denn wenn du die Basics nicht begriffen hast, wird es auch mit dem ganzen tollen Rest nichts werden.
Coach Graham pflegte mich hart anzupacken. Vor allem eine Trainingsmethode ist mir in Erinnerung: »Du machst das alles falsch, Pausch. Geh zurück! Mach’s noch mal!«
Ich tat alles, was er von mir verlangte. Nie reichte es. »Du schuldest mir was, Pausch! Du machst Push-ups nach dem Training.«
Als ich endlich gehen durfte, kam einer der Trainerassistenten zu mir, um mich wieder aufzubauen: »Coach Graham hat dich ziemlich hart angepackt, was?«
Ich brachte kaum ein »Yeah« raus.
»Das ist gut«, erklärte er mir, »denn wenn du es verbockst und niemand etwas sagt, dann heißt das, dass sie dich aufgegeben haben.«
Diese Lektion sollte mir mein ganzes weiteres Leben in
den Ohren klingen. Wenn du mitkriegst, dass du etwas schlecht machst, und niemand macht sich die Mühe, es dir zu sagen, dann bist du am falschen Ort. Du willst es vielleicht nicht hören, aber in Wahrheit sind deine Kritiker oft die Einzigen, die dich wissen lassen, dass sie dich noch immer lieben und sich Sorgen um dich machen - die Einzigen, die dich zu einem besseren Menschen machen wollen.
Heute wird viel davon geredet, Kindern Selbstvertrauen zu vermitteln. Aber das ist nichts, was man vermitteln kann, das muss sich jeder selbst aufbauen. Coach Graham fuhr auch hier keinen Schmusekurs. Selbstvertrauen? Er wusste, dass es in Wahrheit nur einen Weg gibt, um Kindern beizubringen, wie man Selbstvertrauen gewinnt: Man trägt ihnen etwas auf, das sie nicht können, und sie beißen sich so lange die Zähne daran aus, bis sie herausfinden, dass sie es können. Diesen Prozess braucht man dann nur oft genug zu wiederholen.
Als mich Coach Graham zum ersten Mal in die Finger bekam, war ich dieses schwächliche Kind ohne jedes Geschick, ohne Körperkraft und ohne Kondition gewesen. Erst er machte mir bewusst, dass ich morgen tun kann, was mir heute nicht gelingt, wenn ich hart genug an mir arbeite. Ich bin gerade siebenundvierzig geworden, kann euch aber immer noch eine Three-Point-Haltung zeigen, auf die jeder NFL-Lineman stolz wäre.
Mir ist klar, dass ein Coach wie Graham heutzutage aus jedem Jugendsportverband rausfliegen würde. Er wäre einfach zu hart. Die Eltern würden sich beschweren.
Ich erinnere mich an ein Spiel, in dem unser Team einfach grauenvoll war. Zur Halbzeit stürzten wir uns derart aufs Wasser, dass wir fast den Eimer umgeschmissen
hätten, worauf Coach Graham stinkwütend brüllte: »Jeez! So viel Bewegung hab ich bei euch nicht gesehen, seit das Spiel begonnen hat!« Wir waren Elfjährige und standen dort wie begossene Pudel. Wir hatten Angst, er würde einen nach dem anderen packen und mit bloßen Händen zerquetschen. »Wasser?« brüllte er, »ihr Jungs wollt Wasser?« Dann hob er den Eimer hoch und kippte den
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